Die Furcht des Weisen / Band 1
aus«, sagte sie und verriegelte die Tür hinter mir. »Du kommst hoffentlich nicht, weil du mehr Geld brauchst. Ich verleihe nämlich kein Geld an Leute, die aussehen, als hätten sie gerade eine dreitägige Sauftour hinter sich.«
Erschöpft ließ ich mich auf einem Stuhl nieder. »Ich bringe dir dein Buch zurück«, sagte ich, zog es unter dem Umhang hervor und legte es auf ihren Schreibtisch.
Sie nickte und lächelte. »Und? Wie fandest du den guten alten Malcaf?«
»Trocken. Wortreich. Langweilig.«
»Da sind ja auch keine Bilder drin«, neckte sie mich.
»Seine Theorien über die Wahrnehmung als Einflussfaktor waren ganz interessant«, erwiderte ich. »Aber er schreibt einen Stil, als wollte er unbedingt verhindern, dass ihn jemand versteht.«
Devi nickte. »So ungefähr habe ich das auch empfunden.« Sie griff über den Tisch und zog das Buch näher zu sich heran. »Und wie fandest du das Kapitel über Propriorezeption?«
»Da schien er mir vollkommen inkompetent«, sagte ich. »Ich bin in der Mediho Leuten begegnet, denen man Gliedmaßen amputiert hatte. Und ich hatte nicht den Eindruck, dass Malcaf jemals mit einem Amputierten gesprochen hat.«
Ich beobachtete sie, ob sich bei ihr irgendwelche Anzeichen von Schuldgefühlen zeigten. Doch da war nichts. Sie kam mir vollkommen normal vor, war so vergnügt und scharfzüngig wie eh und je. Aber ich bin ja schließlich unter Schauspielern aufgewachsen: Ich weiß, wie viele Möglichkeiten es gibt, seine wirklichen Gefühle zu verbergen.
Devi runzelte übertrieben die Stirn. »Du guckst so ernst. Was denkst du denn gerade?«
»Ich wollte dir ein paar Fragen stellen«, wich ich aus. Ich sah dem nicht gerade voller Freude entgegen. »Es geht nicht um Malcaf.«
|307| »Ich bin es so leid, nur meines Intellekts wegen geschätzt zu werden.« Sie beugte sich vor und reckte die Arme in die Höhe. »Wann werde ich denn endlich einen netten Jungen finden, der mich einfach nur meines Körpers wegen begehrt?« Sie streckte sich lasziv, hielt dabei aber unvermittelt inne und sah mich verdutzt an. »Ich warte hier auf irgendeine Witzelei. Normalerweise bist du schneller.«
Ich gab ihr ein mattes Lächeln zur Antwort. »Mir gehen gerade so viele Dinge im Kopf herum. Ich kann dir heute glaube ich nicht Paroli bieten.«
»Paroli bieten konntest du mir nie. Aber wenigstens ein kleiner Schlagabtausch war doch ab und zu mal drin.« Sie beugte sich vor und faltete die Hände auf der Tischplatte. »Was sind es denn für Fragen?«
»Hast du dich damals an der Uni viel mit Sygaldrie beschäftigt?«
»Ach so, persönliche Fragen …« Sie hob eine Augenbraue. »Nein. Das hat mich nicht interessiert. Für meinen Geschmack viel zu viel Fummelei.«
»Du scheinst mir aber eine Frau zu sein, die ansonsten fürs Fummeln durchaus was übrig hat«, erwiderte ich und rang mir ein mattes Lächeln ab.
»So schon eher«, sagte sie anerkennend. »Wusste ich’s doch, dass du’s nicht verlernt hast.«
»Ich nehme nicht an, dass du irgendwelche Bücher über Fortgeschrittene Sygaldrie besitzt, oder?«, fragte ich. »Von der Art, an die sie einen Re’lar nicht ranlassen?«
Devi schüttelte den Kopf. »Nein. Aber ich besitze ein paar nette Werke über Alchemie. Sachen, die du niemals finden würdest in deiner ach so kostbaren Unibibliothek.« Beim letzten Wort mischte sich Bitterkeit in ihre Stimme.
Da wurde mir plötzlich einiges klar. Devi wäre nie so nachlässig gewesen, dass man ihr mein Blut hätte entwenden können. Und sie hätte es auch niemals verkauft, um einen schnellen Gewinn einzustreichen. Sie brauchte dieses Geld nicht. Und sie hegte auch keinen Groll gegen mich.
Sie hätte aber alles dafür gegeben, Zugang zur Bibliothek zu erlangen.
|308| »Da du gerade auf Alchemie zu sprechen kamst«, sagte ich so beiläufig wie nur möglich. »Hast du schon mal von etwas gehört, das sich Pflaumenschlag nennt?«
»Ja, davon habe ich gehört«, sagte sie unbekümmert. »Eine fiese Sache. Und ich glaube, ich habe auch die Formel dafür.« Sie blickte zum Bücherregal hinüber. »Willst du sie sehen?«
Ihr Gesicht verriet sie nicht, aber mit genug Übung kann jeder Mensch sein Gesicht beherrschen. Auch ihre Körpersprache verriet sie nicht. Ich bemerkte nur eine minimale Anspannung im Schulterbereich und nur ein ganz kurzes Zögern.
Es waren ihre Augen. Als ich die Droge erwähnt hatte, hatte ich dort ein leichtes Zucken wahrgenommen. Und dieses Zucken zeigte nicht nur
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