Die Furcht des Weisen / Band 1
langsam wie der Zeiger einer Uhr und riss einen losen Faden von ihrem Ärmel. Der Taschenofen ächzte und knackte und begann Hitze abzustrahlen.
»Ich habe im Moment nicht mal eine anständige Verbindung zu dir«, sagte Devi, und ihre Hand, die den Faden hielt, bewegte sich langsam auf den Taschenofen zu. »Aber wenn du deine Bindungen nicht aufhebst, werde ich das hier dazu nutzen, jeden Fetzen, den du am Leib trägst, in Brand zu setzen, und werde lächelnd zusehen, wie du schreist.«
Schon seltsam, was einem in so einer Situation durch den Kopf geht. Das Erste, woran ich dachte, waren nicht die schrecklichen Verbrennungen, die ich dabei erleiden würde. Nein, ich dachte daran, dass der Umhang, den Fela mir geschenkt hatte, dabei draufgehen würde, und mir anschließend nur noch zwei Hemden übrig blieben.
|313| Mein Blick schoss zur Schreibtischplatte, wo der Lack rings um den Taschenofen bereits Blasen zu schlagen begann. Ich spürte die von dem Gerät ausgehende Hitze nun sogar schon im Gesicht.
Ich weiß, wann ich mich geschlagen geben muss. Ich hob die Bindungen auf, und einen Moment lang drehte sich mir alles vor Augen, während sich die Teile meines Geistes wieder zusammenfügten.
Devi ließ ihre Schultern kreisen. »Lass sie los«, sagte sie.
Ich öffnete meine Hand, und die Wachspuppe fiel auf den Schreibtisch. Dann saß ich da, die Hände auf dem Schoß, und hielt mich ganz still, um Devi keinesfalls zu erschrecken.
Sie stand auf und beugte sich über den Schreibtisch. Dann fuhr sie mir mit einer Hand durch die Haare und riss mir eine ganze Anzahl aus. Unwillkürlich schrie ich auf.
Sie setzte sich wieder, nahm die Puppe, entfernte ihr eigenes Haar und ersetzte es durch etliche von meinen. Schließlich murmelte sie eine Bindung.
»Devi, du verstehst das falsch«, sagte ich. »Ich wollte einfach nur –«
Als ich Devi mit meinen Bindungen gefesselt hatte, hatte ich mich auf ihre Arme und Beine konzentriert. Das ist die effektivste Weise, die Bewegungsfreiheit eines Menschen einzuschränken. Mir stand nur eine begrenzte Menge Hitze zur Verfügung, und ich durfte keine Energie vergeuden.
Devi aber verfügte in diesem Moment über Energie in Hülle und Fülle, und ihre Bindung fühlte sich an, als wäre ich in einen Schraubstock eingeklemmt. Ich konnte meine Arme und Beine nicht mehr bewegen, ja, nicht einmal mehr den Unterkiefer oder die Zunge. Ich konnte kaum mehr atmen, brachte nur flache Atemzüge zustande, die keine Bewegung meiner Brust erforderten. Es war ein entsetzliches Gefühl, als hätte jemand mein Herz fest im Griff.
»Ich habe dir vertraut«, sagte Devi, und ihre Stimme klang ein wenig wie die Säge eines Chirurgen, mit der er ein Bein amputiert. »Ich habe dir
vertraut
.« Nun sprach aus ihrem Blick nur noch Zorn und Abscheu. »Es war tatsächlich jemand hier, der dein Blut kaufen wollte. Er hat mir fünfundfünzig Talente dafür geboten. Ich habe abgelehnt. Ich habe bestritten, dich überhaupt zu kennen, weil wir |314| beide in einer Geschäftsbeziehung zueinander stehen. Und ich halte mich an einmal getroffene Abmachungen.«
Wer
?, wollte ich schreien. Aber ich brachte nur ein unverständliches
Äähh
heraus.
Devi sah die Wachspuppe an, die sie in der Hand hielt, und dann zu dem Taschenofen hinüber, der ihr gerade einen dunklen Ring in die Schreibtischplatte brannte. »Unsere Geschäftsbeziehung ist hiermit beendet«, sagte sie. »Deine Schulden bei mir stelle ich fällig. Du hast bis zum Ende des Trimesters Zeit, mir mein Geld zurückzuzahlen. Neun Talente. Wenn du dich auch nur einen Augenblick verspätest, verkaufe ich dein Blut, um meine Kosten zu decken, und wasche meine Hände in Unschuld.«
Sie musterte mich kühl. »Du hättest weit Schlimmeres verdient. Denk dran: Ich habe immer noch dein Blut. Wenn du dich an die Meister der Universität oder an die Polizei von Imre wendest, wird das böse Folgen für dich haben.«
Nun stiegen Rauchkringel von der Schreibtischplatte auf, und Devi hielt die Wachspuppe über den knackenden Taschenofen. Sie murmelte etwas, und Hitze schoss mir durch den ganzen Leib. Es fühlte sich genauso an wie die plötzlichen Hitzezustände, die mich seit Tagen plagten.
»Wenn ich diese Bindung aufhebe, wirst du sagen: ›Ich habe verstanden, Devi.‹ Und dann wirst du gehen. Und am Ende des Trimesters wirst du jemanden herschicken, der mir mein Geld bringt. Du wirst nicht selber kommen. Ich will dich nie wiedersehen.«
Devi blickte mich so
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