Die Furcht des Weisen / Band 1
Wiedererkennen, sondern auch Schuldgefühle an. Natürlich. Sie hatte Ambrose die Formel verkauft.
Und wieso auch nicht? Ambrose war ein hochrangiger Mitarbeiter der Bibliothek. Er konnte ihr insgeheim Zugang zu dem Gebäude verschaffen. Ach was, angesichts der Mittel, die ihm zu Verfügung standen, war das wahrscheinlich nicht einmal nötig. Es war ja allgemein bekannt, dass Lorren gelegentlich Gelehrten, die nicht dem Arkanum angehörten, Zutritt zur Bibliothek gewährte, zumal wenn ein Förderer bereit war, ihnen diesen Weg mit einer großzügigen Spende zu ebnen. Ambrose hatte einmal nur meinetwegen ein ganzes Gasthaus gekauft. Wie viel mehr würde er zahlen, um an mein Blut zu gelangen?
Nein. Wil und Sim hatten recht. Es war nicht seine Art, sich die Hände schmutzig zu machen, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ. Viel einfacher für ihn wäre es doch gewesen, Devi zu engagieren, auf dass sie die Drecksarbeit für ihn erledigte. Sie war längst von der Universität verwiesen. Sie hatte nichts zu verlieren und konnte auf diese Weise Zugang zu allen Schätzen der Bibliothek erlangen.
»Nein, danke«, sagte ich. »Ich interessiere mich nicht besonders für Alchemie.« Dann atmete ich tief durch und beschloss, zum Punkt zu kommen. »Aber ich möchte gerne mein Blut sehen.«
Devis fröhlicher Gesichtsausdruck erstarrte. Ihr Mund lächelte weiter, ihre Augen aber blickten kalt. »Wie bitte?«
|309| »Ich möchte gerne das Blut sehen, das ich dir anvertraut habe«, sagte ich. »Ich muss wissen, ob es sicher verwahrt ist.«
»Das geht leider nicht.« Nun fiel das Lächeln vollends von ihr ab. »Das wäre ein Verstoß gegen meine Geschäftsbedingungen. Und außerdem: Glaubst du wirklich, ich bin so dumm, so etwas hier aufzubewahren?«
Ich bekam ein flaues Gefühl im Magen, wollte es aber immer noch nicht glauben. »Wir können gern dahin gehen, wo du es aufbewahrst«, sagte ich ganz ruhig. »Jemand hat ein Sympathievergehen gegen mich begangen. Ich muss mich nur vergewissern, dass die Blutprobe nicht angerührt wurde.«
»Als ob ich dir einfach so zeigen würde, wo ich so etwas aufbewahre«, sagte Devi mit beißendem Sarkasmus. »Hast du nicht mehr alle Tassen im Schrank?«
»Ich fürchte, ich muss darauf bestehen.«
»Dann fürchte dich mal schön«, sagte Devi und funkelte mich an. »Und viel Spaß beim Bestehen.«
Sie war’s. Anders ließ sich nicht erklären, dass sie es mir nicht zeigen wollte. »Wenn du dich weigerst, es mir zu zeigen«, fuhr ich fort und bemühte mich, meine Stimme ganz ruhig klingen zu lassen, »muss ich davon ausgehen, dass du mein Blut entweder verkauft hast oder es aus irgendeinem Grund dazu verwendet hast, eine Wachspuppe von mir herzustellen.«
Devi lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und verschränkte betont lässig die Arme vor der Brust. »Du kannst von so viel Blödsinn ausgehen, wie du willst, aber dein Blut siehst du erst wieder, wenn du deine Schulden bei mir beglichen hast – keinen Augenblick früher.«
Ich zog eine Wachspuppe unter meinem Umhang hervor und legte meine Hand auf den Schreibtisch, so dass Devi die Puppe sehen konnte.
»Soll ich das sein?«, sagte sie. »Mit so breiten Hüften?« Doch diese Worte waren nur ein verhüllender Scherz, ein reiner Reflex. Ihr Tonfall war wütend, ihre Augen blickten steinhart.
Mit der anderen Hand zog ich ein rotblondes Haar hervor und befestigte es am Kopf der Puppe. Devi griff sich unwillkürlich an den eigenen Haarschopf und schaute schockiert.
|310| »Wie gesagt: Jemand hat mich angegriffen. Und ich brauche Gewissheit, dass mein Blut –«
Als ich diesmal mein Blut erwähnte, huschte ihr Blick kurz zu einer bestimmen Schreibtischschublade. Auch ihre Finger zuckten ein wenig.
Ich sah ihr in die Augen. »Tu’s nicht«, sagte ich.
Devis Hand schoss zu der Schublade.
Ich zweifelte keine Sekunde, dass sich in dieser Schublade eine Wachspuppe befand, die sie von mir angefertigt hatte. Ich durfte auf keinen Fall zulassen, dass sie die Puppe in die Hand nahm. Ich konzentrierte mich und murmelte eine Bindung.
Devis Hand, die schon dabei war, die Schublade zu öffnen, hielt auf halbem Wege abrupt inne.
Ich hatte ihr nichts getan. Ich hatte ihr keine Schmerzen zugefügt, nichts, was dem auch nur nahekam, was sie in den vergangenen Tagen mit mir gemacht hatte. Es war einfach nur eine Bindung, die eine Lähmung verursachte. Als ich unterwegs in dem Wirtshaus eingekehrt war, um mich ein wenig aufzuwärmen, hatte ich mir
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