Die Furcht des Weisen / Band 1
der beiden. »Wenn ihr euch anschließen mögt, verspreche ich euch stundenlange, zermürbende Arbeit in der Nähe der schönsten Frau diesseits des Omethi.«
»Könnte sein, dass ich ein bisschen Zeit übrig habe«, sagte Wilem beiläufig.
Simmon grinste nur.
Und so begann unsere Suche in der Bibliothek.
Erstaunlicherweise machte es anfangs sogar Spaß, glich fast einem Spiel. Wir vier schwärmten in unterschiedliche Abteilungen aus, kamen dann wieder zusammen und durchforsteten gemeinsam die erbeuteten Bücher. Wir verbrachten Stunden damit, nebenbei zu plaudern und zu scherzen, genossen die Herausforderung und die Gemeinschaft.
Doch als aus den Stunden vergeblichen Suchens Tage vergeblichen Suchens wurden, verflog das Aufregende daran, und zurück blieb nur finstere Entschlossenheit. Wil und Sim wachten auch weiterhin nachts über mich und beschützten mich mit ihrem Alar. Nacht um Nacht bekamen sie kaum Schlaf und wurden immer mürrischer und reizbarer. Um es ihnen ein wenig zu erleichtern, begnügte ich mich mit fünf Stunden Schlaf pro Nacht.
Unter normalen Umständen wäre ich damit bestens ausgekommen, aber ich war ja immer noch nicht von meinen Verletzungen genesen. Hinzu kam, dass ich ununterbrochen mein Alar aufrechterhalten musste, um mich zu schützen. Das stellte eine enorme geistige Anstrengung dar.
Am dritten Tag unserer Suche nickte ich ein, während ich gerade für mein Studium über einem Metallurgiebuch brütete. Ich döste nur etwa eine halbe Minute lang vor mich hin, ehe ich davon wieder wach wurde, dass mir der Kopf auf die Brust fiel. Doch die eiskalte Furcht, die mich dabei durchfuhr, ließ mich anschließend den ganzen Tag lang nicht mehr los. Wenn Ambrose mich in diesem Augenblick angegriffen hätte, hätte das meinen Tod bedeuten können.
|321| Und deshalb, obwohl ich es mir eigentlich nicht leisten konnte, begann ich Kaffee zu trinken. Da sich die meisten Gasthäuser in Universitätsnähe bemühten, gehobenen Ansprüchen zu genügen, war Kaffee überall zu bekommen. Aber Kaffee ist eben auch teuer. Nahlwurz wäre billiger gewesen, hat aber unangenehme Nebenwirkungen, die ich nicht in Kauf nehmen wollte.
Zwischen den einzelnen Sucheinsätzen machten wir uns daran, meinen Verdacht zu bestätigen, dass Ambrose hinter den Angriffen steckte. Wil beobachtete, wie Ambrose sich nach einer Rhetorik-Vorlesung in seine Gemächer zurückzog, und gleich anschließend musste ich einen Binderfrostanfall abwehren. Fela sah ihn, wie er spät zu Mittag aß und anschließend heimging, und eine Viertelstunde später verspürte ich ein prickelndes Hitzegefühl auf meinem Rücken und meinen Armen.
Später an diesem Abend sah ich ihn nach seiner Schicht in der Bibliothek zum GOLDENEN PONY gehen. Kurz darauf spürte ich einen schwachen Druck in beiden Schultern, was mir zeigte, dass er versuchte, mir Stichwunden zuzufügen. Nach den Schultern folgten noch etliche weitere Knüffe in einer intimeren Körperregion.
Wil und Sim stimmten mit mir überein, dass das kein Zufall sein konnte: Ambrose war’s. Und darüber hinaus erfuhren wir auf diese Weise, dass Ambrose das, was er gegen mich einsetzte, offenbar in seinen Gemächern aufbewahrte.
|322| Kapitel 28
Feuer fangen
D ie Attacken kamen nicht besonders oft, aber sie kamen ohne Vorwarnung.
Am fünften Tag, seit wir begonnen hatten, nach dem Bauplan zu suchen, musste Ambrose entweder bockig gelaunt oder sehr gelangweilt gewesen sein, denn es waren insgesamt acht: Eine, als ich in Wilems Zimmer erwachte, zwei beim Mittagessen, zwei weitere, während ich in der Mediho Physiognomie studierte, und dann drei in schneller Folge, während ich im Handwerkszentrum Eisen bearbeitete.
Am nächsten Tag aber gab es überhaupt keine Attacken. In mancher Hinsicht war das schlimmer. Man wartete nur Stunde um Stunde darauf, dass es wieder losging.
Und so lernte ich, ein stahlhartes Alar aufrechtzuerhalten, während ich aß und badete, an Seminaren teilnahm und mich mit meinen Lehrern und Freunden unterhielt. Ich hielt es sogar aufrecht, während ich mich in meinem Sympathie-Seminar duellierte. Am siebten Tag unserer Suche führte diese Ablenkung und meine allgemeine Erschöpfung dazu, dass ich das erste Mal nach einer langen Serie siegreicher Duelle gegen zwei Kommilitonen verlor.
Ich könnte behaupten, dass ich zu erschöpft gewesen sei, als dass mir das groß etwas ausgemacht hätte, aber das würde nicht so ganz der Wahrheit entsprechen.
|323| Am neunten Tag
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