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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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Hand entgegen.
    Ich übergab ihm Gibeas Arbeitsjournal, und eine Minute später standen wir beide blinzelnd im Wintersonnenschein vor dem Portal der Bibliothek. Ich zog den Umhang fester um mich und trat mir den Schnee von den Stiefeln ab.
    |438| »Hausverbot«, sagte Simmon. »Das war clever.«
    Ich zuckte die Achseln. Es war mir peinlicher, als ich eingestehen mochte. Ich hoffte, einer der Anwesenden würde Lorren erklären, dass ich eher versucht hatte, für Ruhe zu sorgen als Unruhe zu stiften. »Ich wollte nur das Richtige tun.«
    Simmon lachte, und wir gingen langsam in Richtung ANKER’S. Er trat zum Spaß nach einer Schneewehe. »Es bräuchte mehr Leute auf der Welt wie dich«, sagte er in einem Ton, an dem ich erkannte, dass er nun philosophisch wurde. »Du tust etwas. Nicht immer auf die beste oder vernünftigste Weise, aber: Du tust es. Du bist eine Rarität.«
    »Wie meinst du das?«, fragte ich, neugierig geworden.
    Sim zuckte die Achseln. »Na, heute zum Beispiel. Jemand stört dich, und zack, legst du los.« Er machte eine schnelle Bewegung mit der flachen Hand. »Du weißt ganz genau, was du tust. Du zögerst nicht, du siehst etwas und reagierst sofort.« Er schwieg einen Moment lang nachdenklich. »So, stelle ich mir vor, waren auch die Amyr. Kein Wunder, dass die Leute solche Angst vor ihnen hatten.«
    »Ich bin aber nicht immer so fürchterlich selbstsicher«, gestand ich.
    Simmon lächelte. »Das finde ich auf eine seltsame Weise beruhigend.«

|439| Kapitel 42
Buße
    D a es nun mit dem Lernen in der Bibliothek vorläufig vorbei war und der Winter alles unter Schnee begrub, fand ich, es sei an der Zeit, mich um ein paar Dinge zu kümmern, die ich in letzter Zeit vernachlässigt hatte.
    Ich wollte Auri einen Besuch abstatten, aber die Dächer und der Hof, wo wir uns normalerweise trafen, waren mit Schnee und Eis bedeckt. Ich war froh, dass ich keine Fußspuren entdeckte, denn ich glaubte nicht, dass Auri überhaupt Schuhe besaß, von einem Mantel oder einer Mütze ganz zu schweigen. Ich hätte im Unterding nach ihr gesucht, aber das Entwässerungsgitter auf dem Hof war zugesperrt und vereist.
    Ich legte ein paar Doppelschichten in der Mediho ein und trat an einem zusätzlichen Abend im ANKER’S auf, als Wiedergutmachung für den Abend, an dem ich früher hatte Schluss machen müssen. Außerdem arbeitete ich viel im Handwerkszentrum, stellte für mein Projekt Berechnungen an, führte Versuche durch und beschäftigte mich mit speziellen Legierungen. Und ich holte viel Schlaf nach.
    Doch ein Mensch kann nun mal nicht beliebig lange schlafen, und am vierten Tag meines neuerlichen Hausverbots gingen mir die Vorwände aus: So wenig Lust ich auch dazu hatte – ich musste mit Devi sprechen.
    Als ich mich endlich dazu durchgerungen hatte, zu ihr zu gehen, war die Temperatur gerade so weit wieder gestiegen, dass der Schneefall in Schneeregen überging.
    Die Wanderung nach Imre war eine Qual. Ich hatte keine Mütze |440| und keine Handschuhe, und der windgepeitschte Schneeregen drang mir schon nach fünf Minuten durch den Umhang. Nach zehn Minuten war ich bis auf die Haut durchnässt und wünschte, ich hätte abgewartet oder mir eine Droschke genommen. Der Schneeregen hatte die Schneeschicht auf der Straße durchweicht, und der nasse Schneematsch war nun knöcheltief.
    Ich wollte im EOLIAN einkehren und mich ein wenig aufwärmen, bevor ich zu Devi weiterging. Doch das Gebäude war, was ich noch nie erlebt hatte, zugesperrt, und innen brannte auch kein Licht. Kein Wunder. Welcher Adlige würde bei diesem Wetter vor die Tür gehen? Welcher Musiker würde sein Instrument dieser kalten Nässe aussetzen?
    Also stapfte ich weiter durch die menschenleeren Straßen und kam schließlich in die Gasse hinter der Metzgerei. Nach meiner Erinnerung war es das erste Mal, dass es auf der Treppe nicht nach ranzigem Fett stank.
    Ich klopfte an Devis Tür und war beunruhigt, wie fühllos meine Hand war. Ich spürte kaum, wie meine Fingerknöchel die Tür berührten. Ich wartete ab und klopfte erneut, machte mir schon Sorgen, dass sie womöglich nicht da war und ich den Weg umsonst auf mich genommen hatte.
    Doch dann öffnete sich die Tür einen Spalt weit. Warmer Lampenschein drang heraus, und ein eisblaues Auge spähte durch die Ritze. Die Tür öffnete sich weiter.
    »Grundgütiger Tehlu«, sagte Devi. »Was machst du denn bei diesem Wetter hier?«
    »Ich hab gedacht –«
    »Nein, das kann nicht sein«, parierte sie.

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