Die Furcht des Weisen / Band 1
Ring«, sagte ich. »Das ist der Ring, den Ambrose meiner Freundin abgenommen hat. Ich warte nur noch auf eine Gelegenheit, ihn ihr zurückzugeben.«
Devi saß schweigend da und streckte eine Hand aus. Schließlich legte ich ihr den Ring hinein.
Sie hielt ihn ans Licht, beugte sich vor und kniff beim Betrachten das andere Auge zu. »Ein schöner Stein«, sagte sie.
»Die Fassung ist neu«, sagte ich in jämmerlichem Ton.
Devi legte den Ring behutsam auf das Buch, neben mein Abzeichen und die Lampe. »Wir machen Folgendes«, sagte sie. »Ich behalte diese Gegenstände als Sicherheit für dein Darlehen in Höhe von neun Talenten. Diese Abmachung gilt für ein Jahr.«
»Für ein Jahr und einen Tag«, sagte ich.
Da musste sie ein wenig lächeln. »Ja, wie es im Märchen immer so schön heißt. Also gut. Damit verlängern wir die Laufzeit um ein Jahr und einen Tag. Falls du bis dahin deine Schulden nicht bezahlt hast, gehen diese Dinge in meinen Besitz über, und deine Schulden gelten damit als beglichen.« Nun wurde ihr Lächeln bissiger. »Ich könnte mich in diesem Fall allerdings dazu überreden lassen, sie wieder herauszugeben – im Austausch für gewisse Informationen.«
Ich hörte den Glockenturm in der Ferne die Stunde schlagen und seufzte. Mir blieb keine Zeit, noch weiter zu feilschen, denn ich war schon spät dran für mein Treffen mit Threpe. »Also gut«, sagte ich gereizt. »Aber den Ring bewahrst du an einem sicheren Ort auf. Du darfst ihn nicht tragen, solange ich nicht in Verzug bin.«
Devi runzelte die Stirn. »Aber …«
»Dieser Punkt ist nicht verhandelbar«, sagte ich in ernstem Ton. »Der Ring gehört einer Freundin. Und er bedeutet ihr sehr viel. Ich will nicht, dass sie ihn an der Hand einer Anderen sieht. Nicht nach |518| all dem, was ich durchgemacht habe, um ihn von Ambrose wiederzubekommen.«
Devi sagte nichts darauf, ihr feenhaftes Gesicht blickte aber grimmig. Ich setzte ebenfalls einen grimmigen Gesichtsausdruck auf und sah ihr in die Augen. Ich bin übrigens gut in so was, wenn es darauf ankommt.
Einen Moment lang herrschte Schweigen.
»Also gut«, sagte sie schließlich.
Wir schüttelten einander die Hand. »Für ein Jahr und einen Tag«, sagte ich.
|519| Kapitel 51
Die Furcht des Weisen
I ch ging ins EOLIAN, wo Threpe schon auf mich wartete, geradezu tänzelnd vor Ungeduld. Er sagte mir, er habe ein Schiff aufgetan, das in knapp einer Stunde zur Fahrt flussabwärts ablegen würde. Er habe auch bereits meine Passage bis Tarbean bezahlt, von wo aus es nicht schwierig sein würde, Richtung Osten weiterzureisen.
Wir hasteten zum Hafen, und als wir dort ankamen, war das Schiff schon ablegebereit. Threpe, der nach dem flotten Fußmarsch rot im Gesicht war und schnaufte, beeilte sich, mir innerhalb von drei Minuten Ratschläge für ein ganzes Leben zu erteilen.
»Der Maer entstammt einem uralten Adelsgeschlecht«, sagte er. »Nicht so wie die meisten niederen Adligen hier in der Gegend, die einem nicht mal sagen könnten, wer ihr Urgroßvater war. Behandle ihn also mit Respekt.«
Ich verdrehte die Augen. Wieso glaubten immer alle, ich wüsste mich nicht zu benehmen?
»Und denk dran«, sagte er. »Wenn es so aussieht, als ginge es dir vor allem ums Geld, wird man dich für provinziell halten, und dann nimmt dich keiner mehr ernst. Du bist dort, auf dass man Gefallen an dir findet. Das ist das Spiel, bei dem der Hauptgewinn winkt. Das Glück folgt dem, der zu gefallen weiß. Es ist, wie Teccam schrieb:
»So ein Brot ist billig zu haben,
drum begehrt es auch alle Welt …«
»… aber manches ist unbezahlbar:
Lachen und Liebe gibt’s nicht für Geld.«
|520| schloss ich. Diese Verse stammten zwar in Wirklichkeit von Gregan dem Geringeren, aber ich hielt mich nicht damit auf, ihn zu berichtigen.
»Heda!«, rief uns ein braungebrannter, bärtiger Mann von Deck aus zu. »Wir warten noch auf einen Nachzügler, und der Käpt’n ist wütend wie ’ne hässliche Nutte. Er schwört, er legt ab, wenn der Kerl in zwei Minuten nicht zur Stelle ist. Ihr solltet bis dahin auch an Bord gekommen sein.« Er ging, ohne eine Antwort abzuwarten.
»Sprich ihn mit ›Euer Gnaden‹ an«, fuhr Threpe fort, als wären wir nie unterbrochen worden. »Und denk dran: Wer wenig spricht, dessen Wort hat mehr Gewicht. Oh!« Er zog einen versiegelten Brief aus seiner Brusttasche hervor. »Hier ist dein Empfehlungsschreiben. Ich schicke ihm eine Abschrift davon mit der Post, nur damit er
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