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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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Lautenkastens, überquerte die Straße und verpfändete Laute und Kasten für zehn Silbernobel und einen auf die Dauer einer Spanne ausgestellten Pfandschein.
    Denen, die immer ein sorgloses Leben geführt und deshalb nie den Pfandleiher kennen gelernt haben, muss ich das erklären. Ein solcher Schein stellte eine Art Quittung dar, mit der ich meine Laute für dieselbe Summe zurückkaufen konnte, allerdings nur innerhalb einer Frist von elf Tagen. Am zwölften Tag ging sie in das Eigentum des Pfandleihers über, der sie dann unverzüglich seinerseits für das Zehnfache verkaufen konnte.
    Wieder auf der Straße wog ich die Münzen in der Hand. Sie kamen mir verglichen mit der mir bekannten kealdischen Währung oder den schweren Pennys des Commonwealth dünn und leicht vor. Aber Geld regiert die Welt, in welcher Form auch immer, und für sieben Nobel konnte ich mir eine schöne Garnitur Kleider kaufen, wie ein feiner Herr sie tragen mochte, und dazu ein Paar Stiefel aus weichem Leder. Vom Rest ließ ich mir die Haare schneiden und das Kinn rasieren, außerdem nahm ich ein Bad und aß die erste warme Mahlzeit seit drei Tagen. Danach war ich zwar wieder bettelarm, hatte dafür aber an Selbstbewusstsein gewonnen.
    Trotzdem würde es schwierig werden, zum Maer vorzudringen. Mächtige Leute wie er pflegen sich gleich mehrfach nach außen abzuschotten. Der Weg zu ihnen führt über Empfehlungsschreiben und Audienzen, schriftliche Eingaben und Anfragen, Visitenkarten und endloses Hofieren.
    Doch ich musste meine Laute spätestens in elf Tagen wieder auslösen, deshalb blieb mir dazu keine Zeit. Ich musste schneller in Kontakt mit Alveron treten.
    Also begab ich mich zum Fuß der Bastion und fand dort ein kleines Café, das von einer vornehmen Kundschaft besucht wurde. Für eine meiner kostbaren letzten Münzen bestellte ich eine Tasse Schokolade. Ich setzte mich mit Blick auf ein Geschäft für Stoffe und Kurzwaren auf der anderen Straßenseite.
    |527| Im Laufe der folgenden Stunden lauschte ich dem Klatsch, der an solchen Orten ausgetauscht wird. Ich gewann sogar das Vertrauen eines aufgeweckten Jungen namens Jim, der im Café arbeitete und darauf wartete, meine Tasse aufzufüllen, sollte ich das wünschen. Durch ihn und das, was ich zufällig aufschnappte, erfuhr ich in kürzester Zeit eine Menge über den Hof des Maer.
    Schon wurden draußen die Schatten länger, da beschloss ich, dass es Zeit war, in Aktion zu treten. Ich winkte den Jungen zu mir und zeigte über die Straße. »Siehst du den Kavalier da drüben? Den in der roten Weste?«
    »Ja, Herr.«
    »Kennst du ihn?«
    »Das ist der Edle Bergon, mit Verlaub.«
    Ich brauchte aber jemanden, der einen wichtigeren Rang bekleidete.
»Und der mürrisch dreinblickende Bursche mit dem schrecklichen gelben Hut?«
    Der Junge unterdrückte ein Lächeln. »Das ist der Baronet Pettur.«
    Volltreffer.
Ich stand auf und klopfte Jim auf den Rücken. »Mit deinem Gedächtnis wirst du es noch weit bringen. Alles Gute.« Ich gab ihm einen Halbpenny und schlenderte nach draußen. Der Baronet betastete gerade einen Ballen dunkelgrünen Samts.
    Ich brauche nicht eigens zu erwähnen, dass die Edema Ruh, was die soziale Rangfolge betrifft, an allerunterster Stelle stehen. Und auch abgesehen von meiner Herkunft war ich wenig mehr als ein staatenloser Herumtreiber. Anders ausgedrückt, der Baronet stand so himmelhoch über mir, dass ich ihn, wäre er ein Stern gewesen, mit bloßem Auge gar nicht hätte erkennen können. Jemand wie ich hatte ihn mit »gnädiger Herr« anzureden, Augenkontakt zu vermeiden und sich tief und ehrerbietig zu verbeugen.
    Jemand wie ich redete ihn am besten überhaupt nicht an.
    Im Commonwealth war das natürlich anders. Zumal an der Universität spielten derlei Rangfolgen eine viel geringere Rolle. Aber auch dort waren die Adligen reich und mächtig und hatten viele Beziehungen. Adlige wie Ambrose behandelten Leute meinesgleichen wie den letzten Dreck. Und wenn sie sich dadurch Schwierigkeiten |528| einhandelten, konnten sie ihre Missetaten immer vertuschen oder sich einen Richter durch Bestechung gefügig machen.
    Doch jetzt war ich in Vintas. Hier brauchte Ambrose den Richter gar nicht zu bestechen. Wenn ich den Baronet Pettur versehentlich auf der Straße angerempelt hätte, solange ich noch barfuß und zerlumpt herumlief, hätte er mich blutig peitschen und anschließend von einem Wachtmeister wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses festnehmen lassen können.

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