Die Furcht des Weisen / Band 1
ich nun zwei Decken. Ich hatte Papierbögen voller Notizen, ein Stück Blech aus dem Handwerkszentrum mit halb fertiggestellten Gravuren darauf und eine defekte Harmonie-Uhr, die ich auseinandergenommen hatte, um zu sehen, ob sie sich noch reparieren ließ.
Ich packte schließlich meinen Reisesack fertig und verstaute alles andere in der Truhe, die am Fußende meines Bettes stand. Da hinein kamen auch ein paar schon recht abgenutzte Werkzeuge, das Bruchstück einer Schiefertafel, das ich für das Erlernen von Geheimschriften genutzt hatte, und eine Holzkiste mit all den kleinen Kostbarkeiten, die ich von Auri bekommen hatte …
Dann ging ich nach unten und fragte Anker, ob er so lieb wäre, diese Dinge bis zu meiner Rückkehr in seinem Keller zu verwahren. Er gestand mir leicht schuldbewusst, dass das Zimmer unterm Dach bis zu meinem Einzug jahrelang leergestanden hatte und nur als Abstellkammer genutzt worden war. Er schlug vor, es nicht wieder zu vermieten, wenn ich verspräche, nach meiner Rückkehr wieder |511| für Kost und Logis bei ihm zu musizieren. Darauf einigte ich mich gern mit ihm, schwang mir dann meinen Lautenkasten über die Schultern und ging von dannen.
Ich war nicht allzu sehr erstaunt, Elodin auf der großen Steinbrücke anzutreffen. Bei dem Meister der Namenskunde wunderte mich ohnehin fast gar nichts mehr. Er saß auf der hüfthohen Brüstung und ließ über dem dreißig Meter tiefer dahinfließenden Omethi die Füße baumeln.
»Hallo, Kvothe«, sagte er, ohne den Blick von dem wallenden Wasser abzuwenden.
»Hallo, Meister Elodin«, sagte ich. »Ich fürchte, ich werde die Universität für ein oder zwei Trimester verlassen.«
»Fürchtest du das wirklich?«, fragte er, und ich nahm in seiner ruhigen, volltönenden Stimme einen Anflug von Belustigung wahr.
Ich brauchte einen Moment, bis ich verstand, wie er das meinte. »Das ist doch nur eine Redewendung.«
»Die Wendungen unserer Rede gleichen Bildern von Namen: Sie sind nur ein Abklatsch, aber nichtsdestoweniger sind es Namen. Gehe achtsam mit ihnen um.« Er sah mich an. »Setz dich einen Augenblick zu mir.«
Ich wollte mich schon herausreden, zögerte aber. Er war immerhin mein Bürge. Ich stellte den Lautenkasten und den Reisesack auf der Brücke ab. Auf Elodins jungenhaftem Gesicht zeigte sich ein liebevolles Lächeln, und er klopfte mit der flachen Hand neben sich auf die Brüstung.
Ich blickte ängstlich darüber hinweg in die Tiefe. »Lieber nicht, Meister Elodin.«
Er sah mich tadelnd an. »Vorsicht ziemt sich für den Arkanisten, Selbstsicherheit aber für den Namenskundler. Und Furcht ziemt sich für beide nicht. Und schon gar nicht für dich.« Er klopfte noch einmal, diesmal nachdrücklicher.
Ich stieg vorsichtig hinauf und schwang die Beine über die Brüstung. Der Blick war atemberaubend.
|512| »Kannst du den Wind sehen?«
Ich versuchte es. Einen Moment lang schien es mir, als … Aber nein. Ich schüttelte den Kopf.
Elodin zuckte unbekümmert die Achseln, aber ich meinte, eine leichte Enttäuschung wahrzunehmen. »Das hier ist ein guter Ort für einen Namenskundler. Sag mir, warum.«
Ich sah mich um. »Weiter Wind, starkes Wasser, alter Stein.«
»Gute Antwort«, sagte er, und es klang sehr zufrieden. »Aber es gibt dafür noch einen weiteren Grund. Stein, Wasser und Wind gibt es auch anderswo. Was macht diesen Ort besonders?«
Ich dachte nach und sah mich um, schüttelte dann aber den Kopf. »Ich weiß es nicht.«
»Auch das war eine gute Antwort. Präge sie dir ein.«
Ich wartete darauf, dass er noch etwas sagen würde. Als er es nicht tat, fragte ich: »Also, was macht das hier zu einem guten Ort?«
Er sah lange aufs Wasser hinab, ehe er antwortete. »Es ist ein Abgrund«, sagte er. »Ein hoch gelegener Ort, von dem man hinabstürzen kann. An einem Abgrund sieht man manches besser. Die Gefahr weckt den schlummernden Geist. Manches wird deutlicher. Und diese Dinge zu sehen gehört auch dazu, wenn man ein Namenskundler ist.«
»Und wenn man abstürzt?«, fragte ich.
»Wenn man abstürzt, stürzt man ab«, sagte Elodin mit einem Achselzucken. »Auch ein Absturz kann lehrreich sein. Und im Traum stürzt man ja oft ab, bevor man aufwacht.«
Dann schwiegen wir eine Zeit lang und hingen unseren jeweiligen Gedanken nach. Ich schloss die Augen und versuchte den Namen des Windes zu erlauschen. Ich hörte das Wasser in der Tiefe und spürte den Stein der Brücke unter meinen Handflächen. Aber …
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