Die Furcht des Weisen / Band 1
halbes Dutzend Schnipper ins Zimmer bringen?«
»Schnipper, Herr?«
»Ja«, sagte der Maer, als bestelle er etwas zum Mittagessen. »Es sind niedliche Dinger. Ihr Gezwitscher könnte mir beim Einschlafen helfen.«
»Ich will sehen, was ich tun kann, Herr.« Bevor Stapes die Tür schloss, warf er mir noch einen finsteren Blick zu.
Nachdem er gegangen war, sah ich den Maer an. »Darf ich Euch fragen, warum Ihr ihn doch nicht eingeweiht habt?«
»Damit er nicht zu lügen braucht. Er ist dafür nicht begabt. Und du hattest nicht unrecht. Vorsicht ist die Mutter der Weisheit.« Eine dünne Schweißschicht bedeckte sein Gesicht.
»Die heutige Nacht wird für Euch voraussichtlich sehr anstrengend werden.«
»Das gilt in letzter Zeit für alle meine Nächte«, sagte er bitter. »Warum sollte die heutige schlimmer sein als die vorangegangenen?«
|576| »Wegen des Ophalums, Euer Gnaden. Euer Körper verlangt danach. In zwei Tagen müsstet Ihr das Schlimmste überstanden haben, aber bis dahin werdet Ihr einige … Einiges ertragen müssen.«
»Drück dich klar aus.«
»Ihr werdet Schmerzen in Kopf und Kiefergelenken haben, Schweißausbrüche, Übelkeitsanfälle und Krämpfe besonders in den Beinen und im Kreuz. Ihr werdet vielleicht die Kontrolle über den Darm verlieren und abwechselnd Durst haben und Euch erbrechen.« Ich blickte auf meine Hände. »Es tut mir leid, Euer Gnaden.«
Alveron hatte mir mit wachsendem Unbehagen zugehört, doch jetzt nickte er. »Es ist mir lieber, wenn ich es weiß.«
»Doch gibt es auch Mittel, die Euch Linderung verschaffen können, Euer Gnaden.«
Seine Miene hellte sich ein wenig auf. »Zum Beispiel?«
»Einmal Laudanum, nur eine kleine Menge, um die Gier Eures Körpers zu lindern. Und noch einige andere Substanzen. Ihre Namen sind unwichtig. Ich kann sie zu einem Tee für Euch mischen. Ein weiteres Problem ist das viele Blei, das noch in Eurem Körper steckt und das nicht von allein verschwindet.«
Dies schien ihn mehr zu beunruhigen als alles, was ich bisher gesagt hatte. »Ich scheide es nicht von selbst wieder aus?«
Ich schüttelte den Kopf. »Metalle sind tückische Gifte. Sie sammeln sich im Körper an. Ein Metall aus Euch herauszuziehen erfordert eine besondere Anstrengung.«
Der Maer verzog das Gesicht. »Ihr denkt an Blutegel? Wie ich diese Tiere verabscheue!«
»Nein, Euer Gnaden. Nur Quacksalber setzen heutzutage noch Blutegel für solche Zwecke ein. Das Blei muss Euch
entzogen
werden.« Ich überlegte, ob ich ihm die Wahrheit sagen sollte, dass er nämlich wahrscheinlich nie alles Blei loswerden würde, beschloss dann aber, diese Prognose für mich zu behalten.
»Und kannst du das tun?«
Ich überlegte lange. »Wahrscheinlich am besten von allen, die hier leben, Euer Gnaden. Die Universität ist weit weg. Ich wette, dass nicht einer von zehn Ärzten hier eine richtige Ausbildung hat, und ich weiß auch nicht, welcher Arzt wiederum mit Caudicus in Verbindung |577| steht.« Ich dachte noch kurz nach und schüttelte den Kopf. »Mir fallen auf Anhieb jede Menge Leute ein, die es besser könnten als ich, aber sie leben tausend Meilen von hier entfernt.«
»Ich danke dir für deine Ehrlichkeit.«
»Was ich dazu brauche, kann ich wahrscheinlich größtenteils auch hier bekommen. Allerdings …« Ich verstummte und hoffte, der Maer würde begreifen, worauf ich hinauswollte, und mir die Peinlichkeit ersparen, ihn um Geld zu bitten.
Er sah mich verständnislos an. »Allerdings …?«
»Ich benötige dazu Geld, Euer Gnaden. Was Ihr braucht, ist nicht ganz leicht zu beschaffen.«
»Ach ja, natürlich.« Er griff nach einer Geldbörse und gab sie mir. Dass er eine gut gefüllte Geldbörse in Reichweite seines Bettes aufbewahrte, überraschte mich ein wenig. Mir fiel unwillkürlich ein, wie ich vor Jahren einen Schneider in Tarbean angeherrscht hatte. Was hatte ich gesagt?
Ein Gentleman hat seine Börse immer griffbereit?
Ich unterdrückte einen höchst unpassenden Lachanfall.
Stapes kehrte schon nach kurzer Zeit zurück. Vor sich schob er einen schrankgroßen Gitterkäfig auf Rädern her, in dem ein Dutzend Flittiche saßen. Seine Findigkeit verblüffte mich.
»Meiner Treu, Stapes!«, rief der Maer, als der Kammerdiener mit dem gewaltigen Käfig durch die Tür rollte. »Diesmal hast du dich selbst übertroffen.«
»Wohin wünschen Euer Gnaden, dass ich ihn stelle?«
»Lass ihn an der Tür stehen. Kvothe wird ihn an die gewünschte Stelle schieben.«
Stapes sah ihn
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