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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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Vogelgezwitscher. »Ich war schon immer der Meinung, dass frische Luft gegen jegliche Beschwerden des Körpers hilft. Andere sehen das anders«, sagte ich und lächelte den Maer an.
    Er erwiderte mein Lächeln nicht. »Ja gewiss, du bist sehr schlau. Komm her und setz dich.« Ich zog mir einen Stuhl ans Bett und gehorchte. »Rechtfertige deine Behauptung von vorhin.«
    »Ich sagte Caudicus, ich würde an einem Buch mit Geschichten über die Adelshäuser von Vintas schreiben. Dieser Vorwand erklärt zugleich, warum ich so viel Zeit mit Euch verbringe.«
    Der Maer starrte mich weiter grimmig an. Schmerzen trübten seinen Blick wie eine Wolke, die sich vor die Sonne schob. »Dein Geschick als Lügner ist kaum geeignet, dir mein Vertrauen zu verdienen.«
    Ich spürte einen Knoten im Magen, denn ich hatte nicht damit gerechnet, dass der Maer sich so sehr gegen die Wahrheit sperren würde. »Aber doch, Euer Gnaden. Ihn habe ich belogen, Euch dagegen sage ich die Wahrheit. Da er mich für einen etwas einfältigen Junker hielt, ließ er mich zusehen, wie er Eure Arznei mischte.« Ich hielt das bernsteinfarbene Fläschchen hoch. Das Glas reflektierte die Sonne in allen Regenbogenfarben.
    Alveron rührte sich nicht. Seine sonst so klaren Augen blickten verwirrt und von Schmerzen getrübt. »Ich will von dir Beweise für deine Behauptung, und du kommst mir mit einer Geschichte. Caudicus dient mir seit einem Dutzend Jahre treu. Trotzdem will ich über deine Worte nachdenken.« Seinem Ton nach zu schließen, würde sein Urteil nicht lange auf sich warten lassen und für mich ungünstig ausfallen. Er streckte die Hand nach dem Fläschchen aus.
    Ärger stieg in mir auf, und mir wurde trotz der Angst, die mir die Glieder lähmte, ganz warm. »Ihr wollt einen Beweis?«
    |572| »Ich will meine Arznei!«, erwiderte der Maer ungehalten. »Und ich will schlafen. Gib mir …«
    »Euer Gnaden, ich …«
    »Wie kannst du es wagen, mir ins Wort zu fallen?«, rief Alveron wütend und setzte sich mühsam auf. »Du gehst zu weit! Verschwinde augenblicklich, dann überlege ich mir, ob ich dich in meinen Diensten behalte.« Er zitterte vor Empörung und hatte die Hand immer noch nach dem Fläschchen ausgestreckt.
    Einen Moment lang herrschte Schweigen. Ich hielt ihm das Fläschchen hin, aber bevor es nehmen konnte, sagte ich: »Ihr habt vor kurzem erbrochen, und das Erbrochene war milchig weiß.«
    Die Stimmung war zum Zerreißen gespannt, doch der Maer sah mich nur wie versteinert an. »Eure Zunge fühlt sich dick und schwer an«, fuhr ich fort. »Euer Mund ist trocken und von einem sonderbar scharfen Geschmack erfüllt. Ihr habt Heißhunger auf Süßigkeiten und Zucker. Ihr wacht nachts auf und könnt Euch nicht rühren und nicht sprechen. Ihr leidet an Lähmungserscheinungen, Koliken und Angstzuständen.«
    Während ich sprach, zog der Maer die Hand langsam von dem Fläschchen zurück. Seine Wut schien verschwunden. In seine Augen war ein unsicherer, geradezu verängstigter Blick getreten, aber sie blickten wieder klar, als hätte die Angst ihn zur Besinnung gebracht.
    »Das weißt du von Caudicus«, sagte er, aber es klang keineswegs überzeugt.
    »Würde Caudicus mit einem Fremden in aller Ausführlichkeit über Eure Krankheit sprechen? Ich sorge mich um Euer Leben. Wenn ich mich ungebührlich verhalten muss, um es zu retten, dann sei es so. Gebt mir zwei Minuten Zeit, und ich liefere Euch den Beweis, den Ihr verlangt.«
    Alveron nickte langsam.
    »Ich behaupte nicht, genau zu wissen, was da drin ist.« Ich zeigte auf das Fläschchen. »Aber ich weiß, dass Ihr vor allem durch Blei vergiftet werdet. Das Blei ist für die Lähmungserscheinungen, die Schmerzen in Euren Muskeln und Eingeweiden und die Übelkeit verantwortlich.«
    »Ich habe keine Lähmungen.«
    |573| »Hm.« Ich musterte ihn kritisch. »Dann habt Ihr Glück. Aber dieses Fläschchen enthält nicht nur Blei, sondern vermutlich auch eine gehörige Dosis Ophalum, das im Grunde kein Gift ist.«
    »Was ist es dann?«
    »Mehr eine Arznei oder Droge.«
    »Was heißt das?«, brauste er auf. »Ist es nun ein Gift oder eine Arznei?«
    »Habt Ihr je Laudanum genommen?«
    »Einmal, als ich noch jünger war und wegen eines gebrochenen Beins vor Schmerzen nicht schlafen konnte.«
    »Ophalum wirkt ähnlich, wird aber nur selten gegeben, weil es in höchstem Maße abhängig macht.« Ich machte eine Pause. »Man nennt es auch Denner-Harz.«
    Der Maer erbleichte, als er das hörte, und der Blick

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