Die Furcht des Weisen / Band 1
auch ermüdete. Caudicus zeigte sich offenbar nicht nur mir gegenüber höchst geschwätzig, und deshalb wusste schon bald der ganze Hof von meinen genealogischen Studien. Ich wurde von Besuchern überschwemmt, die mich nicht mehr nur nach meiner Person ausfragten, sondern auch die schmutzige Wäsche anderer bei mir ablegen wollten.
Ich versuchte sie mit allen Mitteln zu bremsen, und wo das nicht gelang, regte ich an, sie sollten die Geschichten aufschreiben und mir zusenden. Überraschend viele folgten meinem Vorschlag, und so wuchs auf einem Tisch in einem meiner ungenutzten Zimmer ein Stapel schriftlich verfasster Bosheiten und Verleumdungen.
|602| Am folgenden Tag ließ mich der Maer erneut holen. Als ich eintrat, saß er in einem Sessel an seinem Bett und las in der auf Altvintisch abgefassten Originalausgabe von Fyorens
Anrecht der Könige.
Sein Gesicht hatte eine bemerkenswert gesunde Farbe angenommen, und seine Hände, mit denen er die Seiten umblätterte, zitterten nicht mehr. Er blickte nicht auf, als ich eintrat.
Stumm bereitete ich mit dem heißen Wasser, das auf dem Nachttischchen stand, eine neue Kanne Tee zu, schenkte eine Tasse ein und stellte sie auf das Tischchen neben seinem Sessel.
Anschließend sah ich nach dem goldenen Käfig im Nachbarzimmer. Die verspielten Flittiche flatterten so schwindelerregend schnell um die Futterspender, dass man sie nur schwer zählen konnte. Trotzdem meinte ich mit einiger Gewissheit zwölf zu erkennen. Dass die Vögel seit drei Tagen vergiftetes Futter fraßen, schien ihnen keineswegs geschadet zu haben. Ich hätte ihren Käfig am liebsten kräftig geschüttelt.
Zuletzt füllte ich das Lebertranfläschchen auf. Es war noch zu drei Vierteln voll, ein weiteres Zeichen meiner schwindenden Glaubwürdigkeit.
Wortlos sammelte ich meine Utensilien ein und schickte mich an zu gehen. Ich war noch nicht an der Tür angekommen, da blickte der Maer von seinem Buch auf. »Kvothe?«
»Ja, Euer Gnaden?«
»Ich habe doch nicht so viel Durst, wie ich dachte. Würdest du das bitte für mich trinken?« Er zeigte auf die Tasse auf dem Tischchen, die er noch nicht angerührt hatte.
»Auf Eure Gesundheit«, sagte ich und nahm einen Schluck. Ich verzog das Gesicht, fügte noch einen Löffel Zucker hinzu, rührte um und trank den Rest. Der Maer beobachtete mich dabei. Der Blick seiner Augen war ruhig, durchdringend und seltsam wissend. Ein Schauder lief mir über den Rücken.
Caudicus öffnete mir und bot mir denselben Stuhl an wie schon zuvor. »Entschuldigt mich einen Augenblick«, sagte er. »Ich muss noch |603| nach einem Experiment sehen, das sonst misslingen könnte.« Er eilte eine Treppe hinauf, die in einen anderen Stock des Turms führte.
Aus Langeweile wandte ich mich wieder seiner Sammlung von Ringen zu. Man konnte mit Hilfe der Ringe die Stellung ihres Empfängers bei Hof recht genau einschätzen.
Ich überlegte gerade halb im Scherz, ob ich einen goldenen Ring klauen sollte, da kehrte Caudicus zurück.
»Ich wusste nicht, ob Ihr Eure Ringe wiederhaben wollt«, sagte er mit einer Handbewegung.
Ich drehte mich zu dem Tisch um und sah meine Ringe auf einem Tablett liegen. Seltsam, dass ich sie erst jetzt bemerkte. Ich sammelte sie ein und steckte sie in eine Innentasche meines Mantels. »Vielen Dank, sehr freundlich.«
»Bringt Ihr dem Maer auch heute wieder seine Arznei?«
Ich nickte und straffte mich wie vor Stolz.
Von der Bewegung des Nickens wurde mir ein wenig schwindlig, und ich begriff plötzlich, was mit mir los war: ich hatte eine ganze Tasse vom Tee des Maer getrunken. Zwar hatte ich nur wenig Laudanum hineingegeben – jedenfalls wenig für einen Patienten, der Schmerzen litt und sich von einer beginnenden Ophalum-Abhängigkeit entwöhnen musste.
Für jemanden wie mich aber war die Dosis beträchtlich. Ich spürte, wie mich nach und nach eine wohlige Mattigkeit überkam. Alles schien sich langsamer zu bewegen als sonst.
»Der Maer wartet heute besonders ungeduldig darauf«, sagte ich und gab mir Mühe, deutlich zu artikulieren. »Deshalb habe ich leider nicht viel Zeit zum Plaudern.« Noch länger den einfältigen Junker zu spielen, überstieg in diesem Zustand meine Kräfte.
Caudicus nickte ernst und trat an seinen Arbeitstisch. Ich folgte ihm wie immer mit einem Ausdruck unschuldiger Neugier.
Abwesend sah ich zu, wie Caudicus die Arznei mischte. Mein Verstand war vom Laudanum benebelt, und mit dem Rest, der mir noch zur Verfügung stand,
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