Die Furcht des Weisen / Band 1
passte dafür aber um so besser zum Rot der Dachziegel.
Ich kletterte über das Dach der Stallungen, durchquerte einen Heuboden und trat durch die Hintertür eines leeren Stalls. Von dort musste ich nur noch über einen Zaun springen und schon hatte ich die Burg verlassen. Ein Kinderspiel.
In der Spenglerstraße wurde ich erst in der zwölften Herberge fündig. Denna war allerdings nicht da, weshalb ich einfach die Straße weiterging, die Augen offen hielt und auf mein Glück vertraute.
Ich entdeckte sie eine Stunde später. Sie stand am Rand einer Menge, die der Aufführung einer fahrenden Schauspieltruppe zusah. Gespielt wurde, so unglaublich es klingt, das Stück
Drei Wünsche frei.
Dennas Haut war vom Reisen gebräunt und dunkler als bei unserer letzten Begegnung an der Universität und sie trug nach Art der Frauen hierzulande ein hochgeschlossenes Kleid. Die schwarzen Haare fielen ihr mit Ausnahme eines einzelnen, schmalen Zopfes gerade über den Rücken.
Unsere Blicke begegneten sich, als Taubnessel gerade die ersten Verse des Stücks deklamierte:
Ich heil jedes Leiden!
Das kann ich beeiden!
Alle Mittel zum Spottpreis, der Erfolg verbürgt!
Plagt euch drum die Schwachherzigkeit,
Oder sie macht die Beine nicht breit,
Was ihr braucht, ich halt es bereit,
Seid sicher: es wirkt!
|610| Denna lächelte, als sie mich sah. Wir hätten uns den Rest des Stücks ansehen können, aber ich kannte das Ende schon.
Stunden später aßen Denna und ich im Schatten der Bastion süße vintische Trauben. Ein übermütiger Steinmetz hatte eine flache Nische mit einigen Sitzgelegenheiten in den weißen Felsen gehauen, und wir hatten das lauschige Plätzchen auf unserem Spaziergang durch die Stadt entdeckt. Hier waren wir allein, und ich hielt mich für den glücklichsten Menschen der Welt.
Ich bedauerte nur, dass ich Dennas Ring nicht dabei hatte. Als Überraschungsgeschenk hätte er hervorragend zu unserem unverhofften Wiedersehen gepasst. Schlimmer noch, ich durfte nicht einmal verraten, dass ich ihn zurückgekauft hatte. Ich hätte sonst zugleich zugeben müssen, dass ich ihn als Pfand für meine Schulden bei Devi versetzt hatte.
»Es scheint dir gut zu gehen«, sagte Denna und befühlte den Stoff meines Mantels. »Hast du das Gelehrtendasein aufgegeben?«
»Ich mache nur Urlaub«, erwiderte ich ausweichend. »Im Augenblick helfe ich dem Maer bei verschiedenen Dingen.«
Denna sah mich mit großen Augen an. »Erzähl!«
Ich sah verlegen zur Seite. »Das kann ich leider nicht. Die Sache ist heikel.« Ich räusperte mich und wechselte das Thema. »Und du? Dir scheint es auch nicht schlecht zu gehen.« Ich strich mit zwei Fingern über den Spitzenbesatz ihres hochgeschlossenen Kragens.
»Ich bin zwar nicht mit dem Maer befreundet«, sagte Denna und deutete eine spöttische Verbeugung an. »Aber ich habe dir ja in meinen Briefen geschrieben, dass ich …«
»Briefen?«, unterbrach ich. »Du hast mir mehr als einen Brief geschrieben?«
Denna nickte. »Drei seit meiner Abreise. Und ich wollte gerade einen vierten schreiben, aber du hast mir die Mühe abgenommen.«
»Ich habe nur einen bekommen.«
Denna zuckte mit den Schultern. »Ich sage es dir sowieso lieber |611| persönlich.« Sie machte eine dramatische Pause. »Ich habe endlich einen festen Schirmherrn gefunden.«
»Wirklich?«, rief ich begeistert. »Wie mich das für dich freut!«
Denna lächelte stolz, und ihre Zähne strahlten weiß aus ihrem braun gebrannten Gesicht. Ihre Lippen waren wie immer rot, obwohl Denna sie nicht schminkte.
»Gehört er zum Hof von Severen?«, fragte ich. »Wie heißt er?«
Dennas Grinsen verschwand, und sie sah mich ernst und mit einem unsicheren Lächeln an. »Du weißt doch, dass ich dir das nicht sagen kann. Dass er größten Wert darauf legt, unerkannt zu bleiben.«
Meine Begeisterung war wie weggeblasen. »Oh nein, Denna! Es ist doch nicht etwa derselbe Kerl wie damals? Der, in dessen Auftrag du auf der Hochzeit in Trebon gespielt hast?«
Denna schien verwirrt. »Doch, natürlich. Aber ich darf dir seinen richtigen Namen nicht verraten. Wie hast du ihn noch gleich genannt? Lord Ulme?«
»Lord Esche.« Mir war, als hätte ich den Mund voller Asche. »Kennst wenigstens du seinen Namen? Hat er ihn dir gesagt, bevor du dich ihm verpflichtet hast?«
»Ich glaube, dass ich seinen richtigen Namen kenne.« Denna zuckte mit den Schultern und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Dabei berührte sie den Zopf. Sie
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