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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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die beleibte Gestalt des Kammerdieners Stapes.
    Stapes war aus irgendeinem Grund erregt. Sein Gesicht wirkte todernst, und er fuchtelte mit den Händen. Caudicus nickte einige Male zustimmend, dann öffnete er ihm die Tür.
    Stapes hielt nichts in der Hand, als er ging. Er hatte also keine Arznei geholt und auch kein Buch ausgeliehen. Nein, er war mitten in der Nacht gekommen, um ungestört mit dem Mann zu sprechen, der den Maer töten wollte.

|607| Kapitel 64
Flucht
    K eine Familie kann sich einer ungetrübt friedlichen Vergangenheit rühmen, doch die Lackless wurden in besonderem Maße von Missgeschicken heimgesucht. Einige befielen sie von außen, darunter Mord, Diebstahl, Krieg und ein Bauernaufstand. Aufschlussreicher sind allerdings die Missgeschicke, die von innen kommen. Wie kann eine Familie gedeihen, wenn der älteste Sohn und Erbe sich seinen Pflichten ihr gegenüber vollkommen entzieht? Kein Wunder, dass die Familie von ihren Gegnern oft »Glücklos« statt »Lackless« genannt wurde.
    Dass sie bis heute überlebt hat, scheint ihre Kraft zu bezeugen. Und wenn Caluptena nicht niedergebrannt wäre, könnten wir sie anhand der Quellen womöglich so weit zurückverfolgen, dass sie an Alter dem modeganischen Königshaus ebenbürtig wäre …
     
    Ich ließ das Buch so achtlos auf den Tisch fallen, dass Meister Lorren das Herz geblutet hätte. Wenn der Maer meinte, solche Informationen würden reichen, dass er um eine Frau werben könnte, brauchte er meine Hilfe dringender, als er glaubte.
    Doch nach Lage der Dinge hatte ich so meine Zweifel, ob der Maer mich überhaupt noch einmal um Rat bitten würde, von einer so heiklen Angelegenheit wie dem Werben um eine Frau ganz zu schweigen. Am Tag zuvor hatte er mich jedenfalls überhaupt nicht zu sich gerufen.
    Ich war ganz offensichtlich in Ungnade gefallen, und das verdankte ich vermutlich Stapes. Aus dem, was ich vor zwei Tagen in Caudicus’ Turmzimmer gesehen hatte, ging deutlich hervor, dass er an dem Komplott gegen den Maer beteiligt war.
    Ich blieb in meinem Zimmer, obwohl es mir wie ein Gefängnis |608| vorkam. Ich wollte Alverons ohnehin geringe Meinung von mir nicht dadurch noch weiter schmälern, dass ich ihn ungebeten aufsuchte.
    Eine Stunde vor Mittag besuchte mich der Viscount Guermen mit einigen Klatschgeschichten, die er persönlich zu Papier gebracht hatte. Außerdem hatte er, offenbar vom Vorbild Bredons inspiriert, ein Kartenspiel dabei. Er bot an, mir das »Drossel« genannte Spiel beizubringen, und erklärte sich bereit, nachdem ich die Grundzüge begriffen hatte, für den geringen Betrag eines silbernen Bit pro Partie gegen mich zu spielen.
    Er beging den Fehler, mich austeilen zu lassen. Nachdem ich achtzehn Spiele in Folge gewonnen hatte, ging er sichtlich verschnupft. Dabei hätte ich es noch geschickter anstellen können. Ich hätte ihn nach Herzenslust schröpfen und ihm sein halbes Vermögen abnehmen können, aber ich war nicht in der Stimmung. Ich hing trüben Gedanken nach und wollte lieber allein sein.

    Eine Stunde nach dem Mittagessen beschloss ich, mich nicht länger um den Maer zu bemühen. Wenn Alveron seinem falschen Kammerdiener unbedingt vertrauen wollte, war das seine Sache. Ich jedenfalls wollte keine Minute länger untätig bleiben und wie ein geprügelter Hund in meinem Zimmer warten.
    Also warf ich meinen Mantel um und nahm den Lautenkasten. Ich würde einen Spaziergang zur Spenglerstraße machen. Wenn der Maer mich in meiner Abwesenheit brauchte, musste er mir eben eine Nachricht hinterlassen.
    Ich wäre fast mit dem Wächter zusammengestoßen, der vor meiner Tür strammstand. Er trug das Saphirblau und Elfenbeinweiß von Alverons Leibwache.
    Wir verharrten einen Augenblick bewegungslos. Ich brauchte gar nicht zu fragen, ob er meinetwegen hier war. Meine Tür war in weitem Umkreis die einzige. Ich sah ihn an. »Ihr seid?«
    »Jayes, Herr.«
    Wenigstens wurde ich noch mit »Herr« angesprochen. Das war immerhin etwas wert. »Und Ihr wartet hier, weil …?«
    |609| »Ich soll Euch begleiten, wenn Ihr Euer Zimmer verlasst, Herr.«
    »Gut.« Ich kehrte in mein Zimmer zurück und machte die Tür hinter mir zu.
    Wer hatte ihn geschickt? Alveron oder Stapes? Im Grunde spielte es keine Rolle.
    Ich stieg durch das Fenster in den Garten, sprang über den Bach, rannte hinter einer Hecke entlang und kletterte eine steinerne Mauer hinauf. Mein leuchtend roter Mantel war nicht unbedingt für heimliche Ausflüge im Garten geeignet,

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