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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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sich zu mir um, aber da hatte ich meinen Gesichtsausdruck schon wieder unter Kontrolle. »Oh ja«, sagte er. »Sie sind zuweilen aus anderen, älteren Namen entstanden. Je älter ein Name ist, desto mehr verrät er über seine Träger.
Lackless
ist ein vergleichsweise neuer Name der Familie. Er ist kaum mehr als sechshundert Jahre alt.«
    Diesmal brauchte ich mein Erstaunen nicht zu heucheln. »Sechshundert Jahre sind nicht alt?«
    »Die Familie Lackless selbst ist viel älter.« Caudicus setzte sich in einen verschlissenen Armsessel. »Noch viel älter als das Geschlecht der Alveron. Vor tausend Jahren war sie mindestens genauso mächtig. Damals gehörten ihr Teile des heutigen Vintas, Modeg und ein großes Gebiet der kleinen Königreiche.«
    »Wie hieß die Familie früher?«, fragte ich.
    Caudicus zog ein dickes Buch aus dem Regal und blätterte ungeduldig darin. »Hier haben wir es. Die Familie hieß ursprünglich Sloeclos, Sloklos oder Sloeloes. Alle Varianten bedeuten dasselbe: »schlosslos«, »ohne Schloss«. Die genaue Schreibung war damals noch nicht so wichtig.«
    »Zu welcher Zeit?«
    Er versenkte sich wieder in das Buch. »Vor etwa neunhundert Jahren. In anderen Geschichtsbüchern werden die Sloeclos allerdings schon tausend Jahre vor dem Untergang von Atur erwähnt.«
    Dass eine Familie älter sein sollte als ein ganzes Reich, konnte ich mir nur schwer vorstellen. »Aus Sloeclos wurden also Lackless? Warum sollte eine Familie ihren Namen ändern?«
    »Manche Historiker würden für die Antwort auf diese Frage ihre rechte Hand geben«, sagte Caudicus. »Als gesichert gilt nur, dass die Familie sich aufgrund eines Streits spaltete. Jeder Zweig nahm dann einen eigenen Namen an. In Atur wurden daraus die Lack-key, eine große Familie, die allerdings in der Folgezeit an Bedeutung verlor. Von Lack-key kommt übrigens das Wort ›Lackai‹ für die vielen verarmten Adligen, die sich überall andienern müssen, um über die Runden zu kommen. Im Süden wurden aus den Sloklos die Slaclith. |598| Sie gerieten ähnlich wie die Kaepcaen in Modeg nach und nach in Vergessenheit. Der größte Zweig der Familie lebte hier in Vintas, nur dass es Vintas damals noch nicht gab.«
    Caudicus schloss das Buch und hielt es mir hin. »Ihr könnt es ausleihen, wenn Ihr wollt.«
    »Danke.« Ich nahm es. »Das ist sehr freundlich von Euch.«
    In der Ferne schlug ein Glockenturm die Stunde. »Aber da rede ich die ganze Zeit und erzähle Euch nutzloses Zeug«, rief Caudicus.
    »Ich fand es sehr interessant«, beeilte ich mich zu sagen.
    »Wollt Ihr wirklich keine Geschichten über andere Familien hören?« Caudicus stand auf und trat an einen Arbeitstisch. »Ich habe unlängst einen Winter bei der Familie Jakis verbracht. Der Baron ist Witwer. Ihr kennt ihn. Sehr reich und ein wenig exzentrisch.« Er sah mich mit hochgezogenen Brauen und funkelnden Augen an. »Wenn man mir zusichert, dass mein Name nicht genannt wird, würden mir gewiss einige pikante Geschichten einfallen.«
    Ich war versucht, eine Ausnahme zu machen, doch dann schüttelte ich den Kopf. »Vielleicht wenn ich mit dem Abschnitt über die Lackless fertig bin«, sagte ich mit der Wichtigkeit dessen, der sich mit seiner ganzen Kraft einem wahrhaft nutzlosen Vorhaben hingibt. »Mein Thema ist sehr heikel, und ich möchte nichts durcheinanderbringen.«
    Caudicus runzelte leicht die Stirn, doch dann zuckte er nur die Achseln, krempelte die Ärmel auf und machte sich daran, die Arznei für den Maer zusammenzurühren.
    Ich sah ihm wieder bei seinen Vorbereitungen zu. Er betrieb keine Alchemie, dazu hatte ich Simmon zu oft bei der Arbeit beobachtet. Aber auch von Chemie konnte im Grunde nicht die Rede sein. Er schien lediglich einem bestimmten Rezept zu folgen. Doch welche Zutaten verwendete er?
    Bei den getrockneten Blättern handelte es sich vermutlich um Bissklein. Die Flüssigkeit in der Flasche mit dem Stöpsel war zweifellos Muratum oder Aqua fortis, jedenfalls eine Säure. In der Bleischale zum Kochen gebracht, löste sie einen kleinen Teil des Bleis aus, vielleicht ein Viertelskrupel. Das weiße Pulver war vermutlich Ophalum.
    Caudicus gab noch eine Prise einer letzten Zutat in den Tiegel. Ich |599| hatte keine Ahnung, worum es sich handelte. Die Körnchen sahen aus wie Salz, aber was sieht nicht aus wie Salz?
    Währenddessen plauderte Caudicus ununterbrochen. Sein Thema war der Klatsch des Hofes. DeFerres ältester Sohn war aus dem Fenster eines Bordells gesprungen

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