Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
Vom Netzwerk:
innere Beteiligung ausführen.
    Andererseits wusste ich, dass der Maer über eine Verzögerung nicht erfreut sein würde. Ich brauchte Ablenkung, aber ich musste einen halbwegs unverfänglichen Grund dafür haben, da der Maer mir sonst auf die Schliche kommen würde.

    Ich spürte den verräterischen Luftzug, der anzeigte, dass der Maer die geheime Tür in meinem Ankleidezimmer geöffnet hatte. Als er mein Zimmer betrat, wanderte ich bereits ruhelos auf und ab.
    |648| Er hatte in den beiden letzten Spannen weiter zugenommen, und sein Gesicht wirkte nicht mehr eingefallen und kränklich. Insgesamt bot er in seinen vornehmen Kleidern, dem elfenbeinweißen Hemd und der steifen, tief saphirblauen Jacke einen stattlichen Anblick. »Ich habe deine Nachricht erhalten«, begann er ohne Einleitung. »Du hast das Lied also fertiggestellt?«
    Ich sah ihn an. »Nein, Euer Gnaden. Ich habe etwas erfahren, das wichtiger ist als das Lied.«
    »Für dich ist nichts wichtiger«, erwiderte der Maer bestimmt und zupfte an seinem Ärmelaufschlag. »Wie ich von verschiedenen Leuten gehört habe, hat Meluan sich über die ersten beiden Lieder sehr gefreut. Du solltest deine ganze Kraft darauf konzentrieren.«
    »Euer Gnaden, mir ist völlig klar, dass …«
    »Heraus damit«, sagte Alveron mit einem ungeduldigen Blick auf das Zifferblatt der mechanischen Standuhr in der Zimmerecke. »Ich habe heute noch anderes vor.«
    »Euch droht weiter Gefahr von Caudicus.«
    Ich muss zugeben, der Maer hätte das Zeug zum Schauspieler gehabt. Die einzige Reaktion, die ich ihm entlocken konnte, war ein kurzes Innehalten, während er seinen anderen Ärmelaufschlag zurechtzupfte. »Inwiefern?«, fragte er scheinbar unbesorgt.
    »Er kann Euch nicht nur mit Gift schaden, sondern auch aus der Ferne Verschiedenes bewirken.«
    »Du meinst, durch einen bösen Zauber? Könnte er mich dadurch verhexen?«
    Bei Tehlu, böse Zauber und verhexen.
Man vergaß so leicht, dass dieser intelligente und ansonsten gebildete Mann in arkanen Dingen wenig mehr als ein Kind war. Wahrscheinlich glaubte er auch an Feen und lebende Tote.
    Doch ihn eines Besseren belehren zu wollen wäre mühsam gewesen und hätte zu nichts geführt. »Es wäre zumindest möglich, Euer Gnaden. Aber es kommen auch direktere Bedrohungen in Frage.«
    Er wirkte nun doch ein wenig erschrocken und sah mich an. »Was könnte direkter sein als ein solcher Zauber?«
    Der Maer gehörte zu den Menschen, die man nicht durch Worte allein beeindrucken konnte. Ich nahm also einen Apfel aus einer |649| Obstschale, rieb ihn am Ärmel ab und gab ihn ihm. »Würdet Ihr diesen Apfel bitte kurz halten, Euer Gnaden?«
    Er nahm ihn misstrauisch. »Was hast du vor?«
    Ich ging zu meinem schönen roten Mantel an der Wand und holte aus einer der vielen Taschen eine Nadel. »Ich will Euch zeigen, zu was Caudicus alles fähig wäre, Euer Gnaden.« Ich streckte die Hand nach dem Apfel aus.
    Der Maer gab ihn mir wieder. Ich hielt ihn ins Licht, betrachtete ihn eingehend und sah, worauf ich gehofft hatte: einen Fleck auf der glänzenden Schale. Ich murmelte eine Bindung, konzentrierte mein Alar und stach die Nadel in den Abdruck, den der Zeigefinger des Maer auf der Schale hinterlassen hatte.
    Alveron zuckte zusammen, stieß einen verblüfften Laut aus und starrte auf seine Hand, als hätte ihn überraschend eine Nadel in den Finger gestochen.
    Ich machte mich auf einen Tadel gefasst, doch Alveron blieb stumm. Bleich und ein wenig verwirrt sah er mich an. Dann beobachtete er nachdenklich, wie ein Tropfen Blut aus seiner Fingerkuppe quoll.
    Er leckte sich die Lippen und schob den Finger in den Mund. »Aha«, sagte er leise. »Und man kann sich davor schützen?« Es klang nicht wie eine Frage.
    Ich nickte gewichtig. »Bis zu einem gewissen Grad ja, Euer Gnaden. Ich glaube, ich könnte Euch durch einen … einen Talisman schützen. Es tut mir nur leid, dass ich nicht schon früher daran gedacht habe, aber ich hatte so viel zu tun …«
    »Schon gut.« Der Maer bedeutete mir mit einem Wink, zu schweigen. »Was benötigst du dafür?«
    Die Frage war mehrschichtig. Oberflächlich gesehen fragte er nach den Stoffen, die ich dafür brauchte. Aber als realistischer Mensch wollte er gleichzeitig den Preis wissen, den ich dafür verlangte.
    »In Caudicus’ Labor im Turm müsste ich alles Nötige finden, Euer Gnaden. Die Dinge, die er nicht hat, könnte ich gewiss in der Stadt auftreiben.«
    Ich machte eine Pause und dachte über die

Weitere Kostenlose Bücher