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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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zeigte es mir. »Ich bringe zu solchen Banketten immer eine Hand voll kandierter Mandeln mit«, sagte er mit einem verschwörerischen Flüstern und sah mich listig an. »Man weiß schließlich nie, was man vorgesetzt bekommt.« Er hielt mir die Hand hin. »Nehmt eine, wenn Ihr mögt.«
    Ich nahm eine Mandel, bedankte mich und verschwand für den Rest des Abends wieder aus seinem Bewusstsein. Als ich einige Minuten später noch einmal in seine Richtung blickte, aß er ungeniert aus seiner Tasche und zankte mit seiner Frau darüber, ob Bauern aus Eicheln Brot backen konnten oder nicht. Dem Ton nach war dieser Disput nur ein kleiner Teil eines größeren Streits, den sie schon ihr ganzes Eheleben lang führten.
    Rechts von Meluan saß ein yllisches Paar, das sich in seiner singenden Sprache unterhielt. Aufgrund des strategisch platzierten Tischschmucks, der den Blick auf die Gäste auf der anderen Seite des Tisches verstellte, war ich mit Meluan noch einsamer als auf einem |641| Spaziergang im Garten. Der Maer hatte die Sitzordnung mit Bedacht gewählt.
    Die Suppe wurde abgetragen, und es folgte ein von einer dicken, sahnigen Soße bedecktes Fleischgericht, Fasan, wie ich vermutete. Es schmeckte zu meiner Überraschung sehr gut.
    »Aus welchem Grund, meint Ihr, wurden wir nebeneinander gesetzt?«, nahm Meluan das Gespräch wieder auf. »Herr …?«
    »Kvothe.« Ich deutete im Sitzen eine Verbeugung an. »Vielleicht weil der Maer Euch unterhalten wollte und ich zuweilen sehr unterhaltsam bin.«
    »Wohl wahr.«
    »Vielleicht habe ich aber auch dem Hofmarschall sehr viel Geld bezahlt.« Wieder spielte ein Lächeln um ihre Mundwinkel, und sie nahm einen Schluck Wasser.
Mut gefällt ihr,
notierte ich im Geiste.
    Ich wischte mir die Finger ab und hätte fast die Serviette auf dem Tisch abgelegt, was ein schrecklicher Fehler gewesen wäre. Denn die Serviette abzulegen galt als Aufforderung, den zuletzt servierten Gang abzutragen. Das wiederum bedeutete, wenn es zu einem frühen Zeitpunkt erfolgte, eine stumme, aber umso beleidigendere Kritik am Gastgeber. Eine Schweißperle rann mir zwischen den Schulterblättern den Rücken hinunter. Ich faltete die Serviette sorgsam zusammen und legte sie mir auf den Schoß.
    »Mit was beschäftigt Ihr Euch, Herr Kvothe?«
    Sie fragte nicht nach meinem Beruf, was bedeutete, dass sie mich offenbar für einen Adligen hielt. Zum Glück war ich auch darauf vorbereitet. »Ich schreibe ein wenig. Genealogien, hin und wieder ein Theaterstück. Geht Ihr gern ins Theater?«
    »Gelegentlich. Es kommt darauf an.«
    »Auf das Stück?«
    »Auf die Schauspieler«, sagte sie. Sie klang dabei merkwürdig angespannt.
    Ich hätte es nicht bemerkt, hätte ich sie nicht so aufmerksam beobachtet. Sicherheitshalber wechselte ich das Thema.
    »Wie fandet Ihr die Straßen auf dem Weg nach Severen?«, fragte ich. Der Zustand der Straßen ist ein beliebter Anlass zur Klage und ein ebenso unverfängliches Gesprächsthema wie das Wetter. »Wie |642| ich höre, hat es im Norden Schwierigkeiten mit Straßenräubern gegeben.« Ich wollte das Gespräch ein wenig beleben. Je mehr Meluan redete, desto besser lernte ich sie kennen.
    »Um diese Jahreszeit wimmelt es auf den Straßen vor Banditen von den Edema Ruh«, antwortete sie zornig.
    Nicht nur Banditen, auch noch welche von den Edema Ruh. Meluan sprach das Wort mit solchem Abscheu aus, dass es mich kalt überlief. Sie empfand den Ruh gegenüber nicht nur die Abneigung, die auch andere Menschen uns entgegenbringen, sondern abgrundtiefen, glühenden Hass.
    Das Eintreffen gekühlter Obsttörtchen bewahrte mich vor einer Antwort. Zu meiner Linken stritt der Vizekönig mit seiner Frau über Eicheln. Zu meiner Rechten zerteilte Meluan ein Erdbeertörtchen langsam in zwei Hälften. Ihr Gesicht war so bleich wie eine Maske aus Elfenbein. Als ich sah, wie ihre makellos manikürten Fingernägel sich in den Teig gruben, wusste ich, dass sie dabei an die Ruh dachte.

    Davon abgesehen war der Abend ein Erfolg. Ich konnte Meluan nach und nach wieder beruhigen und sprach in aller Beiläufigkeit über belanglose Dinge. Das Festmahl dauerte zwei Stunden und gab uns reichlich Zeit zur Unterhaltung. Ich fand alles bestätigt, was Alveron gesagt hatte: Sie war klug, gutaussehend und beredt. Obwohl ich wusste, wie sehr sie die Edema Ruh verabscheute, fühlte ich mich in ihrer Gesellschaft nicht unwohl.
    Unmittelbar nach dem Essen kehrte ich in meine Räume zurück und begann zu schreiben.

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