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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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Als der Maer kam, hatte ich bereits drei Briefe entworfen, ein Lied skizziert und fünf Blätter mit Noten und Melodien zur späteren Verwendung bedeckt.
    »Kommt herein, Euer Gnaden.« Ich blickte auf. Der Maer hatte mit dem hinfälligen Mann, den ich gesundgepflegt hatte, kaum noch etwas gemein. Er hatte Gewicht zugelegt und sah fünf Jahre jünger aus.
    »Wie war dein Eindruck?«, fragte Alveron. »Hat sie von anderen Freiern gesprochen?«
    |643| »Nein, Euer Gnaden.« Ich reichte ihm ein zusammengefaltetes Blatt Papier. »Hier ist ein erster Brief, den Ihr schreiben könntet. Ihr findet doch bestimmt einen Weg, ihr den Brief heimlich zukommen zu lassen?«
    Der Maer faltete das Blatt auf und begann zu lesen. Stumm bewegten sich seine Lippen. Ich brütete indes über weiteren Liedversen und kritzelte Harmonien neben den Text.
    Nach einer Weile hob der Maer den Kopf. »Findest du das nicht ein wenig übertrieben?«, fragte er unbehaglich.
    »Nein.« Ich hielt beim Schreiben inne und zeigte mit der Feder auf ein anderes Blatt Papier. »Dieser Brief ist übertrieben. Der in Eurer Hand ist genau richtig. Lady Lackless hat eine romantische Ader. Sie will mitgerissen werden, obwohl sie es wahrscheinlich nicht zugeben würde.«
    Der Maer sah mich zweifelnd an. Ich rückte vom Tisch ab und legte die Feder weg. »Ihr hattet recht, Euer Gnaden, sie ist ein würdiges Ziel Eures Werbens. In wenigen Tagen haben sich gewiss ein Dutzend Freier an ihre Fersen geheftet, die sie jederzeit zur Frau nehmen würden.«
    »Es sind schon jetzt ein Dutzend«, erwiderte der Maer grimmig. »Bald werden es drei Dutzend sein.«
    »Fügt noch ein Dutzend hinzu, das sie beim Essen oder auf Spaziergängen im Garten kennenlernen wird. Ein weiteres Dutzend wird sie freien, nur um sich zu beweisen. Wie viele Freier werden ihr Briefe und Gedichte schreiben? Sie werden ihr außerdem Blumen schicken und andere Zeichen der Verehrung. Lady Lackless wird sich bald vor Aufmerksamkeit nicht mehr retten können. Ihr habt nur eine Chance.«
    Ich zeigte auf den Brief. »Handelt rasch. Dieser Brief wird ihre Phantasie beschäftigen und ihre Neugier wecken. In ein, zwei Tagen, wenn die Briefe der anderen sich auf ihrem Tisch stapeln, wird sie auf einen zweiten Brief von Euch warten.«
    Der Maer zögerte kurz und ließ die Schultern hängen. »Bist du ganz sicher?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Sicherheit gibt es in diesen Dingen nicht, Euer Gnaden, nur Hoffnung. Etwas Besseres als den Brief kann ich Euch nicht anbieten.«
    |644| Alveron zögerte immer noch. »Ich verstehe von all dem nichts«, erklärte er ein wenig gereizt. »Ich wünschte, es gäbe ein Buch mit Regeln, die man befolgen könnte.« Er sah einen Moment lang aus wie ein ganz gewöhnlicher Mensch und überhaupt nicht mehr wie der Maer Alveron.
    In Wahrheit machte ich mir selbst keine geringen Sorgen. Was ich von Brautwerbung verstand, passte bequem in einen Fingerhut, den man dazu nicht einmal vom Finger nehmen musste.
    Andererseits wusste ich eine Menge Dinge, die dabei helfen konnten. Tausende Liebeslieder, Stücke und Geschichten waren doch gewiss auch etwas wert. Umgekehrt hatte ich erlebt, wie Simmon fast jeder Frau im Umkreis von drei Meilen der Universität mit der aussichtslosen Begeisterung eines Kindes hinterhergerannt war, das unbedingt fliegen will. Außerdem hatte ich nicht vergessen, wie unzählige Männer gleich Schiffen, die achtlos durch die Brandung steuern, an Denna gescheitert waren.
    Alveron musterte mich aufrichtig besorgt. »Glaubst du, ein Monat wird genügen?«
    Ich war selbst überrascht, wie zuversichtlich meine Antwort klang. »Wenn Ihr Lady Lackless mit meiner Hilfe nicht in einem Monat gewinnt, Euer Gnaden, dann überhaupt nicht.«

|645| Kapitel 68
Brot gibt es nicht umsonst
    D ie folgenden Tage vergingen auf sehr angenehme Weise. Die sonnigen Stunden verbrachte ich mit Denna. Gemeinsam erkundeten wir Stadt und Umgebung. Wir ritten, schwammen, sangen oder plauderten den ganzen Nachmittag. Ich überschüttete Denna mit Schmeicheleien, ohne mir die geringsten Hoffnungen zu machen, denn nur ein Narr konnte hoffen, sie zu gewinnen.
    Anschließend kehrte ich in mein Quartier zurück und brachte den Brief zu Papier, der im Laufe des Tages in mir gereift war. Oder ich komponierte im Überschwang der Gefühle Lieder. In meinen Briefen und Liedern sagte ich all die Dinge, die ich Denna tagsüber nicht zu sagen gewagt hatte: Dinge, mit denen ich sie, wie ich wusste, nur

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