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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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beiden davon. Wenn man sie so sah, wie sie sich anmutig durch die Menschenmenge bewegten, hätte man glauben können, dass ihnen dieses Lokal gehörte oder sie mit dem Gedanken spielten, es zu kaufen, um es zu einer Sommerresidenz umbauen zu lassen. Nur alter Adel bewegt sich mit dieser Arroganz, die sich aus dem tief verinnerlichten Wissen speist, dass alles auf der Welt ausschließlich dazu da ist, dem eigenen Wohlergehen zu dienen. Denna täuschte dies mit fabelhaftem Können vor, für Lord Kellin Kantkiefer aber war es so selbstverständlich wie das Atmen.
    Ich sah ihnen nach, bis sie die Treppe zum zweiten Rang halb erklommen hatten. Dort blieb Denna stehen, hob eine Hand an den Kopf und sah sich mit besorgter Miene auf dem Boden um. Die beiden wechselten ein paar Worte, und sie deutete die Treppe hinauf. Kellin nickte, ging weiter nach oben und verschwand außer Sicht.
    Einer plötzlichen Eingebung folgend, sah ich zu Boden und entdeckte dort, wo Denna in der Nähe des Geländers gestanden hatte, ein silbernes Schimmern. Ich ging hin und stellte mich darüber, wodurch ich zwei kealdische Kaufleute nötigte, einen Bogen um mich zu machen.
    Ich tat, als betrachtete ich die Menschenmenge unten im Saal, bis Denna mir von hinten auf die Schulter tippte. »Kvothe«, sagte sie nervös. »Tut mir leid, dich zu stören, aber ich habe offenbar einen Ohrring verloren. Bist du so lieb und hilfst mir suchen? Ich bin sicher, dass ich ihn gerade noch hatte.«
    |76| Nun genossen wir einen Moment der ungestörten Zweisamkeit, während wir auf geziemende Weise den Dielenboden absuchten und dabei die Köpfe zusammensteckten. Dennas Kleid war glücklicherweise im modeganischen Stil geschnitten und hatte einen langen, weiten Rock. Wäre es nach der gegenwärtigen Mode des Commonwealth seitlich geschlitzt gewesen, so hätte sie, wie sie dort in die Hocke ging, einen skandalösen Anblick geboten.
    »Mein Gott«, murmelte ich. »Wo hast du
den
denn aufgegabelt?«
    Denna kicherte leise. »Pscht. Du hast doch gesagt, ich soll Harfe lernen. Und Kellin ist ein ziemlich guter Lehrer.«
    »Eine modeganische Pedal-Harfe wiegt fünfmal so viel wie du«, sagte ich. »Das ist ein Salon-Instrument. So was könntest du doch niemals mit auf Reisen nehmen.«
    Sie hörte auf, so zu tun, als suchte sie nach ihrem Ohrring, und bedachte mich mit einem strengen Blick. »Wer sagt denn, dass ich ab jetzt nicht immer einen Salon haben werde, in dem ich Harfe spielen kann?«
    Ich sah wieder zu Boden und rang mir ein Achselzucken ab. »Als Lerninstrument ist es sicherlich ganz tauglich. Wie gefällt es dir denn bislang?«
    »Es ist besser als eine Leier«, sagte sie. »Das ist mir nun klar. Aber bisher kann ich gerade mal
Eichhorn im Stroh
spielen.«
    »Und er? Ist er gut?«, fragte ich mit verschmitztem Lächeln. »Hat er geschickte Finger?«
    Denna errötete ein wenig und guckte, als würde sie mir gleich eine Ohrfeige verpassen. Gerade noch rechtzeitig besann sie sich darauf, dass es galt, Haltung zu wahren, und begnügte sich damit, die Augen zusammenzukneifen. »Du bist wirklich schrecklich«, sagte sie. »Kellin hat sich mir gegenüber stets wie ein vollkommener Edelmann benommen.«
    »Tehlu bewahre uns vor solchen Edelmännern«, erwiderte ich.
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich meinte: Wie ein vollkommener Kavalier. Er ist bloß nie aus Modeg herausgekommen, und deshalb wirkt er wie ein Kätzchen in einem Hühnerstall.«
    »Dann heißt du jetzt also Dinael?«, fragte ich.
    »Vorläufig. Und für ihn«, sagte sie und sah mich mit einem belustigten |77| Zucken um den Mund von der Seite an. »Von dir werde ich aber immer noch am liebsten ›Denna‹ genannt.«
    »Das ist gut zu wissen«, sagte ich und hob meine Hand vom Fußboden. Darunter kam ein kleiner, tränenförmiger Smaragd-Ohrring zum Vorschein. Denna machte ein großes Spektakel daraus, als sie ihn entdeckte, und hielt ihn ans Licht empor. »Ah! Da ist er ja!«
    Ich erhob mich und half ihr beim Aufstehen. Sie strich sich das Haar nach hinten und kam mir näher. »Ich hab zwei linke Hände bei so was«, sagte sie. »Wärst du so nett?«
    Ich war ihr nun ganz nah. Sie gab mir den Ohrring. Sie duftete ein wenig nach Wildblumen. Darunter aber roch sie nach Herbstlaub, nach dem Dunkel ihres Haars, nach Straßenstaub und der Luft kurz vor einem Sommergewitter.
    »Und was ist er?«, fragte ich leise. »Der zweitälteste Sohn von jemandem?«
    Sie schüttelte kaum merklich den Kopf, und eine Haarsträhne

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