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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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Lederscharniere waren mittlerweile rissig und steif und der Kasten selbst an einigen Stellen so abgenutzt, dass sie fast schon löchrig waren. Von den Originalverschlüssen war nur noch ein einziger übrig, ein zartes Ding aus Silber. Die anderen hatte ich mit welchen ersetzt, die sich gerade so auftreiben ließen, und so kam es, dass der Kasten nun ganz unterschiedlich aussehende Verschlüsse aus glänzendem Messing und stumpfem Eisen besaß.
    Im Kasten jedoch sah es ganz anders aus. Dort befand sich der Grund dafür, dass mein Geld nicht für die Studiengebühren reichte. Ich hatte erbittert darum gefeilscht, und dennoch hatte es mich mehr Geld gekostet, als ich je zuvor in meinem Leben für etwas ausgegeben hatte. So viel Geld, dass ich mir dazu keinen passenden Kasten mehr leisten konnte und mich damit behelfen musste, meinen alten Lautenkasten mit Lumpen auszupolstern.
    Das Holz hatte die Farbe von dunklen Kaffeebohnen. Die Rundung des Korpus war so perfekt wie ein Frauenpo. Sie war gedämpfter Widerhall und helles Zupfen und Klingen: Meine Laute. Meine greifbare Seele.
    Ich habe gehört, was Dichter über Frauen geschrieben haben. Sie |83| reimen und schwärmen und lügen. Ich habe gesehen, wie Seeleute stumm vom Gestade aus auf das wogende Meer hinaus starrten. Ich habe auch alte Haudegen gesehen, die bei der im Winde flatternden Fahne ihres Königs feuchte Augen bekamen.
    Glaubt mir: Diese Männer wussten nicht, was Liebe ist.
    Liebe findet man nicht in den Worten der Dichter oder den sehnsuchtsvollen Blicken der Matrosen. Wenn ihr wissen wollt, was Liebe ist, dann seht euch die Hände eines fahrenden Musikers an, während er musiziert. Ein fahrender Musiker weiß, was Liebe ist.
    Ich sah ins Auditorium, wo allmählich Stille einkehrte. Simmon winkte mir begeistert zu, und ich lächelte zurück. Nun erblickte ich oben auf dem zweiten Rang Graf Threpes weißen Haarschopf. Er sprach mit einem gut gekleideten Paar und wies dabei in meine Richtung. Immer noch setzte er sich für mich ein, obwohl wir beide wussten, dass es aussichtslos war.
    Ich hob die Laute aus dem schäbigen Kasten und begann sie zu stimmen. Es war nicht die beste Laute im EOLIAN. Bei weitem nicht. Der Hals war ein klein wenig verzogen, und einer der Wirbel saß nicht ganz fest.
    Ich griff einen Akkord und neigte mein Ohr zu den Saiten hin. Als ich wieder hochblickte, sah ich Dennas Gesicht, so klar und deutlich wie den Mond am Himmel. Sie lächelte mir aufgeregt zu und winkte sogar unter dem Tisch, so dass ihr Edelmann es nicht sehen konnte.
    Ich berührte behutsam den ein wenig losen Wirbel und fuhr dann mit beiden Händen über das warme Holz der Laute. Der Lack war an einigen Stellen angekratzt und abgewetzt. Sie war früher nicht immer gut behandelt worden, doch das machte sie nicht weniger liebenswert.
    Also ja: Sie hatte ihre Macken. Aber was macht das schon, wenn es um Herzensdinge geht? Wir lieben, was wir lieben. Vernunft hat damit nichts zu tun. Die törichte Liebe ist in vieler Hinsicht die einzig wahre Liebe. Etwas aus Gründen zu lieben: Das kann jeder. Das ist so einfach wie einen Penny einzustecken. Doch etwas
trotzdem
zu lieben, die Fehler zu kennen und auch sie zu lieben: Das ist selten, rein und vollkommen.
    |84| Stanchion deutete mit einer ausladenden Geste auf mich. Dem folgte kurzer Applaus und aufmerksames Schweigen.
    Ich zupfte zwei Töne und spürte, wie sich das Publikum zu mir vorbeugte. Eine Saite stimmte ich noch ein klein wenig nach und begann dann zu spielen. Und noch bevor eine Hand voll Töne erklungen waren, hatten alle das Lied erkannt.
    Es war
Leithammel
. Ein Lied, das Hirten seit zehntausend Jahren pfiffen. Eine der allereinfachsten Melodien. Ein Lied, das sich jeder merken kann, wirklich jeder.
    Es war, schlicht gesagt, Volksmusik.
    Zur Melodie von
Leithammel
waren schon hunderte Lieder geschrieben worden. Liebes- und Kriegslieder, Lieder voller Humor, Tragik oder Sinnenlust. Ich jedoch hielt mich mit keinem davon auf. Ohne Worte. Nur die Musik. Nur die Melodie.
    Ich blickte hoch und sah, wie sich Lord Kantkiefer zu Denna hinüberbeugte und eine abschätzige Geste machte. Ich lächelte, während ich weiter den Saiten meiner Laute dieses Lied entlockte.
    Doch nur allzu bald bekam mein Lächeln etwas Gezwungenes. Schweißperlen traten mir auf die Stirn. Ich beugte mich über die Laute und konzentrierte mich darauf, was meine Hände taten. Meine Finger huschten, tanzten, flogen.
    Ich spielte so hart wie ein

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