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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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Nächstes versuchte er, die Truhe umzukippen, um sich ihren Boden anzusehen, aber mit aller Kraft gelang es ihm lediglich, sie zwei, drei Zentimeter weit über die Dielen zu schieben. »Wie viel wiegt die denn, Reshi?«, fragte er aufgebracht. »Dreihundert Pfund?«
    »Über vierhundert, und das ist das Leergewicht«, antwortete Kvothe. »Weißt du nicht mehr, was für eine Plackerei es war, sie die Treppe hochzukriegen?«
    Bast starrte die Truhe noch einen Moment lang seufzend an, den Blick wild entschlossen. Dann zog er ein Beil aus seinem Werkzeugbündel. Es war nicht das grobe Beil mit dem keilförmigen Kopf, das sie hinterm Wirtshaus zum Kleinholzmachen nutzten. Nein, dieses war schlank und sah gefährlich aus und war aus einem einzigen Stück Metall geschmiedet. Die Form der Klinge erinnerte an ein Blatt.
    Er wog diese Waffe locker auf der Handfläche, als prüfte er ihr Gewicht. »Das würde ich als Nächstes tun, Reshi. Wenn ich das Ding wirklich aufbekommen wollte.« Er sah seinen Lehrer fragend an. »Wenn du aber meinst, dass ich das lieber lassen sollte …«
    Kvothe machte eine hilflose Geste. »Sieh nicht mich an, Bast. Ich bin tot. Mach, wie du meinst.«
    Bast grinste und hieb mit dem Beil auf den abgerundeten Deckel ein. Ein seltsames, leises Schellen erklang, als würde in einem fernen Raum eine gedämpfte Glocke geläutet.
    Bast hielt kurz inne und deckte die Truhe dann mit einem wütenden Hagel von Hieben ein. Erst schlug er noch mit einer Hand, dann griff er mit beiden Händen zu und holte weit aus, als würde er Holz hacken.
    Die schimmernde, blattförmige Klinge drang keinen Millimeter ins Holz der Truhe, prallte vielmehr bei jedem Schlag ab. Es war, als hackte Bast auf einen vollkommen glatten Steinklotz ein.
    Schließlich hielt er schwer atmend inne, beugte sich vor, betrachtete die Oberseite der Truhe, fuhr mit der Hand darüber und besah sich auch die Klinge des Beils. Er seufzte. »Gute Arbeit, Reshi.«
    |672| Kvothe lächelte und tippte sich an einen imaginären Hut.
    Bast sah die Truhe noch einmal lange an. »Ich würde auch versuchen, sie in Brand zu setzen, aber ich weiß ja, dass Roah-Holz nicht brennt. Da hätte ich mehr Glück, wenn ich sie so sehr erhitzen würde, bis das Kupferschloss zu schmelzen anfängt. Aber dazu müsste ich das ganze Ding mit der Vorderseite voran in ein Schmiedefeuer legen. Und es müsste eine größere Schmiede sein als die, die wir hier am Ort haben. Und ich weiß nicht mal, ab welcher Temperatur Kupfer zu schmelzen beginnt.«
    »Diese Dinge lernt man dann halt im Buchunterricht«, erwiderte Kvothe.
    »Außerdem gehe ich davon aus, dass du Vorkehrungen gegen so was getroffen hast.«
    »Ja, das habe ich«, sagte Kvothe. »Aber es war eine gute Idee. Sie zeugt von lateralem Denken.«
    »Und wie wäre es mit Säure?«, fragte Bast. »Ich weiß, dass wir im Keller kräftiges Zeug haben …«
    »Ameisensäure kann gegen Roah nichts ausrichten«, sagte Kvothe. »Salzsäure auch nicht. Mit Königssäure könnte es dir gelingen. Aber das Holz ist ziemlich dick, und wir haben nicht allzu viel von dieser Säure im Haus.«
    »Ich dachte dabei nicht an das Holz, Reshi. Ich dachte an die Schlösser. Mit genug Säure könnte ich sie zersetzen.«
    »Da gehst du davon aus, dass sie vollständig aus Eisen und Kupfer bestehen«, sagte Kvothe. »Selbst wenn dem so wäre, bräuchtest du dazu große Mengen Säure und müsstest befürchten, dass die Säure auch in die Truhe eindringt und deren Inhalt zerfrisst. Das gleiche Problem hättest du natürlich auch, wenn du Feuer einsetzen würdest.«
    Bast betrachtete die Truhe noch einen Moment lang und fuhr sich nachdenklich mit einem Finger über die Lippen. »Mehr fällt mir dazu im Moment nicht ein, Reshi. Darüber müsste ich erst noch mal länger nachdenken.«
    Kvothe nickte. Bast, der etwas entmutigt wirkte, sammelte sein Werkzeug wieder zusammen und brachte es hinaus. Als er wiederkam, schob er die Truhe zurück an ihren ursprünglichen Platz, direkt am Fußende des Betts.
    |673| »Das war ein guter Versuch, Bast«, versicherte ihm Kvothe. »Sehr methodisch. Du bist genau so vorgegangen, wie ich es auch getan hätte.«
    »Hallo?«, scholl die Stimme des Bürgermeisters aus dem Schankraum herauf. »Ich bin fertig!«
    Bast sprang auf und schob den Stuhl wieder an den Schreibtisch zurück. Dabei fiel ein zusammengeknülltes Blatt, das auf dem Schreibtisch gelegen hatte, zu Boden und kullerte unter den Stuhl.
    Bast hielt inne und

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