Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
Vom Netzwerk:
Wärme.
    So unerfahren ich mit Frauen war, sogar ich verstand, was das bedeutete. Ich suchte nach einer Antwort, doch konnte ich nur unverwandt Dennas Lippen ansehen. Ihre roten Lippen. Sogar die Selasblüten waren in dieser Nacht schwarz. Warum waren ihre Lippen so rot?
    Denna erstarrte. Wir hatten uns ohnehin kaum bewegt, doch jetzt stand sie von einem Augenblick auf den anderen stocksteif da und neigte lauschend den Kopf wie ein Reh, dass einen entfernten Laut vernommen hat. »Da kommt jemand«, flüsterte sie. »Schnell.« Sie zog mich am Arm vom Weg herunter, über eine steinerne Bank und durch einen schmalen Spalt in der Hecke.
    In der Mitte eines dichten Gebüschs duckten wir uns in eine Nische, die Platz für uns beide bot. Dank der Gärtner gab es kein nennenswertes Unterholz und auch keine trockenen Blätter oder Zweige, die unter unseren Händen und Knien rascheln oder knacken konnten. Stattdessen war unser Versteck mit üppigem, weichem Gras gepolstert.
    »Auf Mondscheinspaziergängen würden dich tausend Mädchen begleiten«, flüsterte Denna kurzatmig. »Aber nur eine versteckt sich mit dir im Gebüsch.« Sie grinste mich voll unterdrückter Heiterkeit an.
    Dann spähte sie durch das Gebüsch zum Weg. Ich sah sie an. Ihre Haare fielen wie ein Vorhang über ihre Schläfe, und zwischen zwei Strähnen lugte ihr Ohr hervor. Mir war in diesem Moment, als hätte ich in meinem ganzen Leben nichts Schöneres gesehen.
    Ich hörte das Knirschen von Schritten auf dem Weg, gefolgt von den leisen Stimmen eines Mannes und einer Frau. Im nächsten Augenblick |665| bogen die beiden Arm in Arm um die Ecke. Ich erkannte sie sofort.
    Ich drehte mich zu Denna um, beugte mich über ihr Ohr und flüsterte kaum hörbar: »Das ist der Maer mit seiner jungen Geliebten.«
    Denna fröstelte, und ich schlüpfte aus meinem Umhang und legte ihn ihr um die Schultern.
    Dann blickte ich wieder zwischen den Ästen hindurch. Meluan lachte über eine Bemerkung des Maer und bedeckte seine Hand auf ihrem Arm mit ihrer Hand. Die beiden schienen schon sehr vertraut miteinander, und der Maer würde meine Dienste wohl kaum noch benötigen.
    »Nicht für dich, meine Liebe«, hörte ich ihn sagen, während die beiden an uns vorbeigingen. »Du sollst nur Rosen bekommen.«
    Denna sah mich mit großen Augen an und drückte beide Hände auf den Mund, um nicht laut loszulachen.
    Die beiden gingen langsam weiter und entfernten sich wieder von uns. Denna ließ die Hände sinken und holte einige Male erschauernd Luft. »Er besitzt dasselbe Benimmbuch«, flüsterte sie. Ihre Augen tanzten.
    Ich musste unwillkürlich lächeln. »Offenbar.«
    »Das ist also der Maer.« Denna spähte noch einmal durch die Blätter. »Er ist kleiner, als ich ihn mir vorgestellt habe.«
    »Würdest du ihn gerne kennenlernen? Ich kann dich ihm vorstellen.«
    »Das wäre ganz reizend«, sagte sie zärtlich neckend. Sie kicherte, doch ich blieb stumm. Sie hob den Kopf und brach ab. »Du meinst das ernst?« Sie legte den Kopf schräg und sah mich zwischen Belustigung und Verwirrung hin und her gerissen an.
    »Wir brauchen ja nicht durch das Gebüsch zu brechen, aber wir könnten auf der anderen Seite zum Weg zurückkehren und ihm entgegengehen.« Ich beschrieb den Weg mit den Händen. »Ich sage ja nicht, dass er uns zum Essen einlädt. Aber wir könnten uns im Vorbeigehen höflich zunicken.«
    Denna starrte mich unverwandt an. Zwischen ihren Augenbrauen war eine kleine Falte erschienen. »Du meinst es tatsächlich ernst«, wiederholte sie.
    |666| »Warum …« Ich brach ab, weil ich plötzlich begriff, wovon sie sprach. »Du hast geglaubt, dass ich für den Maer arbeite sei eine Lüge. Und ich hätte auch gelogen, als ich sagte, ich könnte ganz offen mit dir hierher kommen.«
    »Männer erzählen viel«, sagte Denna geringschätzig. »Sie geben gern ein wenig an. Nicht dass mir das bei dir etwas ausgemacht hätte.«
    »Ich würde dich nie anlügen.« Ich überlegte. »Nein, stimmt nicht. Ich würde es, du bist es wert. Aber ich habe es nicht getan. Du bist es auch wert, die Wahrheit zu erfahren.«
    Denna lächelte mich zärtlich an. »Die hört man jedenfalls seltener.«
    »Würdest du den Maer also gerne kennenlernen?«, fragte ich.
    Denna blickte wieder durch das Gebüsch auf den Weg. »Nein.« Sie schüttelte den Kopf, und ihre Haare schwangen wie Schatten hin und her. »Ich glaube dir auch so, es ist also nicht nötig.« Sie senkte den Blick. »Außerdem hat mein Kleid

Weitere Kostenlose Bücher