Die Furcht des Weisen / Band 1
mich mal nachdenken.« Kvothe tippte sich mit den Fingern an die Lippen und ließ den Blick durchs Zimmer schweifen. Es dauerte nicht lange, dann verharrte sein Blick am Fuße des Betts, wo die dunkle Truhe stand.
Er machte eine beiläufige Geste. »Wie würdest du meine Truhe öffnen, wenn du dir das in den Kopf gesetzt hättest?«
Bast blickte etwas ratlos. »Deine dreifach verschlossene Truhe, Reshi?«
Kvothe sah seinen Schüler verdutzt an, und dann brach Gelächter aus ihm hervor. »Meine was?«, fragte er ungläubig.
Bast errötete und senkte den Blick. »So sage ich halt dazu«, murmelte er.
»Also, dieser Name ist …«, sagte Kvothe und zögerte, und ein Lächeln spielte um seinen Mund. »… na ja, vielleicht ein bisschen märchenbuchmäßig, findest du nicht?«
»Du bist es doch, der dieses Ding gebaut hat, Reshi«, erwiderte Bast. »Drei Schlösser und aus einem ganz besonderen Holz. Also, es ist nicht meine Schuld, wenn das märchenbuchmäßig klingt.«
Kvothe beugte sich vor und legte Bast entschuldigend eine Hand aufs Knie. »Es ist ein schöner Name, Bast. Du hast mich damit bloß auf dem falschen Fuß erwischt, weiter nichts.« Er lehnte sich wieder zurück. »Also: Wie würdest du es anstellen, die dreifach verschlossene Truhe von Kvothe dem Blutlosen zu plündern?«
Bast lächelte. »Du hörst dich an wie ein Pirat, wenn du das so sagst, Reshi.« Er musterte die Truhe nachdenklich. »Ich nehme an, einfach um den Schlüssel zu bitten, kommt nicht in Frage, oder?«
»Stimmt genau«, sagte Kvothe. »Für unsere Zwecke solltest du davon ausgehen, dass ich den Schlüssel verloren habe. Ja, geh am besten davon aus, dass ich tot bin und es dir nun frei steht, in all meinen Geheimnissen herumzuwühlen.«
»Das ist aber ganz schön bitter, Reshi«, sagte Bast leicht tadelnd.
»Das Leben ist ganz schön bitter, Bast«, erwiderte Kvothe ernst. »Fang besser schon mal an, dich dran zu gewöhnen.« Er zeigte auf die Truhe. »Los, ich will sehen, wie du diese Nuss von einer Truhe knackst.«
|670| Bast sah ihn an. »Miese Wortspiele sind aber noch schlimmer als Buchunterricht, Reshi«, sagte er, ging hinüber und stupste die Truhe mit der Stiefelspitze an. Dann bückte er sich und betrachtete die beiden separaten Schlossblenden, die eine aus dunklem Eisen, die andere aus blankem Kupfer. Er stupste den abgerundeten Deckel mit einem Finger an und verzog die Nase. »Dieses Holz ist mir nicht ganz geheuer, Reshi. Und das Eisen ist definitiv unfair.«
»Was für eine lehrreiche Unterrichtseinheit das doch jetzt schon war«, bemerkte Kvothe trocken. »Du hast selbständig eine allgemein gültige Wahrheit deduziert:
Es geht im Leben meistens unfair zu
.«
»Das Ding hat ja überhaupt keine Scharniere!«, rief Bast, der nun die Rückseite der Truhe betrachtete. »Wie kann etwas einen Klappdeckel haben und keine Scharniere?«
»Ich habe eine ganze Weile gebraucht, bis ich diese Frage befriedigend gelöst hatte«, sagte Kvothe nicht ohne Stolz.
Bast ließ sich auf alle Viere nieder und spähte in das kupferne Schlüsselloch. Dann schloss er die Augen und kauerte dort reglos, als lausche er.
Einen Augenblick später beugte er sich vor und hauchte auf das Schloss. Als nichts geschah, bewegte sich sein Mund. Er sprach zwar zu leise, als dass man die Worte hätte verstehen können, aber der inständig flehende Ton war nicht zu überhören.
Nachdem das eine Weile so weitergegangen war, wechselte Bast schließlich wieder in die Hocke und runzelte die Stirn. Dann grinste er schelmisch und klopfte mit dem Fingerknöchel an den Deckel. Er gab kaum einen Ton von sich, als hätte er an einen Stein gepocht.
»Nur so aus Neugier gefragt«, sagte Kvothe. »Was würdest du tun, wenn dein Klopfen jetzt von innen erwidert würde?«
Bast erhob sich, verließ das Zimmer und kam mit einem Bündel Werkzeug wieder. Er kniete sich hin und fummelte mit einem zurechtgebogenen Stück Draht mehrere Minuten lang in dem Kupferschloss herum. Schließlich begann er leise vor sich hin zu fluchen. Als er die Körperhaltung wechselte, um das Schloss von einem anderen Winkel aus anzugehen, berührte er mit einer Hand versehentlich die eiserne Schlossblende und zuckte fauchend davor zurück.
Dann stand er wieder auf, warf den Draht beiseite und nahm eine |671| Brechstange zur Hand. Er versuchte, das zugespitzte Ende unter den Deckel zu hebeln, kam aber nicht in die haarfeine Ritze hinein. Nach einigen Minuten gab er auch das auf.
Als
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