Die Furcht des Weisen / Band 1
Am liebsten hätte ich ihr die ganze Geschichte mit allen Missgeschicken berichtet. Doch die romantische Wirkung wäre gewiss durch das Ende beeinträchtigt worden. Schließlich hatte ich den Ring vor meiner Abreise aus Imre als Pfand versetzt. Ich tat also gut daran, vorerst noch nicht davon zu sprechen und Denna dann mit dem Ring selbst zu überraschen.
|688| »Was würdest du denn davon halten«, fragte ich, »den Maer Alveron als Schirmherrn zu bekommen?«
Denna blieb stehen und starrte mich an. »Wie bitte?«
»Ich stehe gegenwärtig in seiner Gunst, und er schuldet mir den einen oder anderen Gefallen. Und ich weiß, dass du einen Schirmherrn suchst.« »Ich habe schon einen«, erwiderte Denna bestimmt. »Einen, den ich mir selbst verdient habe.«
»Du hast einen halben«, protestierte ich. »Wo ist die Urkunde, die ihn zu deinem Schirmherrn erklärt? Dein Lord Esche mag dich finanziell unterstützen, aber noch wichtiger ist der Name des Schirmherrn. Er ist wie eine Rüstung, wie ein Schlüssel, der …«
»Ich weiß, wozu ein Schirmherr gut ist«, fiel Denna mir ins Wort.
»Dann weißt du auch, dass deiner dich hintergeht. Wenn der Maer damals bei jener verhängnisvollen Hochzeit dein Schirmherr gewesen wäre, hätte in diesem lumpigen Städtchen niemand gewagt, die Stimme oder gar die Hand gegen dich zu erheben. Der Name des Maer hätte dich auch noch aus tausend Meilen Entfernung geschützt, und dir wäre nichts passiert.«
»Ein Schirmherr kann mehr als Name und Geld zu bieten haben«, erwiderte Denna gereizt. »Ich komme auch ohne den Schutz eines Titels zurecht, würde mich aber ehrlich gesagt schwer damit tun, die Farben eines Schirmherrn zu tragen. Ich bekomme von meinem Schirmherrn anderes. Er weiß Dinge, die auch ich wissen muss.« Sie warf sich die Haare nach hinten und streifte mich dabei mit einem wütenden Blick. »Aber das habe ich dir alles schon gesagt. Ich bin gegenwärtig mit meinem Schirmherrn zufrieden.«
»Du könntest zwei Schirmherrn haben«, schlug ich vor. »Den Maer öffentlich und deinen Lord Esche insgeheim. Dagegen wird er gewiss nichts einzuwenden haben. Alveron könnte ihn für dich ein wenig genauer unter die Lupe nehmen und sicherstellen, dass er dich nicht mit falschen Versprechungen …«
Denna sah mich entsetzt an. »Um Himmels willen nein.« Ernst fuhr sie fort: »Versprich mir, dass du meinem Schirmherrn nicht nachforschst. Das könnte alles verderben. Du bist der Einzige, der von ihm weiß, aber er wäre außer sich, wenn er wüsste, dass ich überhaupt jemandem von ihm erzählt habe.«
|689| Ich empfand bei ihren Worten einen merkwürdigen Stolz. »Wenn du wirklich darauf bestehst …«
Denna blieb stehen und stellte den Harfenkasten mit einem dumpfen Geräusch auf dem Pflaster ab. Ihr Gesicht war todernst. »Versprich es mir.«
Ich hätte es ihr wahrscheinlich nicht versprochen, wäre ich ihr nicht die halbe Nacht durch die Stadt gefolgt, in der Hoffnung, etwas über die Identität ihres Schirmherrn zu erfahren. Außerdem hatte ich sie auch noch belauscht. Ich litt unter quälenden Gewissensbissen.
»Ich verspreche es«, sagte ich. Und als sie mich immer noch ängstlich ansah, fügte ich hinzu: »Vertraust du mir nicht? Wenn es dich beruhigt, schwöre ich es.«
»Bei was würdest du schwören?« Sie begann zu lächeln. »Was wäre so wichtig, dass du dein Wort halten würdest?«
»Mein Name und meine Macht?«
»Du bist ja manches«, erwiderte sie trocken, »aber gewiss nicht Taborlin der Große.«
»Meine rechte Hand?«
»Nur eine Hand?« Der scherzende Ton war in ihre Stimme zurückgekehrt. Sie nahm meine beiden Hände in ihre, wendete sie hin und her und unterzog sie einer eingehenden Prüfung. »Die linke gefällt mir besser«, entschied sie schließlich. »Schwöre bei ihr.«
»Bei meiner Linken?«, fragte ich zweifelnd.
»Na gut, dann eben bei der Rechten. Du bist so schrecklich konventionell.«
»Ich schwöre, dass ich nicht versuchen werde herauszufinden, wer dein Schirmherr ist«, sagte ich grimmig. »Ich schwöre es bei meinem Namen und meiner Macht, bei meiner linken Hand und beim ewig wandernden Mond.«
Denna musterte mich, als wisse sie nicht, ob ich mich über sie lustig machte. »Also gut«, sagte sie schließlich mit einem Achselzucken und hob die Harfe auf. »Betrachte mich als beruhigt.«
Wir gingen weiter und gelangten durch das Westtor auf das offene Land. Das Schweigen zwischen uns hielt an und wurde immer angespannter.
Aus
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