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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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vorgestellt hattest, nicht wahr?«, fuhr Denna sanfter fort.
    Ich sah, wie die Schultern des Mädchens zu beben begannen und hörte ein leises, herzzerreißendes Schluchzen. Ich wandte den Blick von dem Weinglas ab und stellte es wieder hin.
    »Hier«, sagte Denna. Man hörte, wie ein Glas auf den Tisch gestellt wurde. »Trink das, es wird dir ein wenig helfen. Nicht viel, aber ein wenig.«
    Das Schluchzen verstummte. Kurz darauf hustete das Mädchen erstickt.
    »Du armes, dummes Ding«, sagte Denna leise. »Dich zu sehen ist schlimmer als ein Blick in den Spiegel.«
    Das Mädchen sprach zum ersten Mal so laut, dass ich es verstehen konnte. »Ich dachte, wenn er mich sowieso nimmt und auch ganz umsonst, kann ich genauso gut da hingehen, wo ich die Wahl habe und auch noch dafür bezahlt werde …«
    |681| Sie wurde wieder leiser, bis ich nichts mehr verstand, sondern nur noch das leise Auf und Ab ihrer Stimme hörte.
    »Der
König für zehn Pennys?«,
fiel Denna ihr ungläubig ins Wort. Ich hatte sie noch nie mit einem solchen Zorn sprechen hören. »Gott, wie ich dieses Stück hasse. Ein unsinniges modeganisches Märchen. Die Wirklichkeit ist ganz anders.«
    »Aber …«, setzte das Mädchen an.
    Denna ließ sie nicht zu Wort kommen. »Es gibt keinen in Lumpen gekleideten Prinzen, der nur darauf wartet, dich zu retten. Und selbst wenn, was hieße das für dich? Du wärst wie ein Hund, den er aus der Gosse gezogen hat. Du würdest ihm gehören. Und wer rettet dich vor ihm, wenn er dich mit nach Hause nimmt?«
    Es kam keine Antwort. Das Mädchen hustete wieder, aber nur ein wenig.
    »Was machen wir denn nun mit dir?«, fragte Denna.
    Der Mädchen schniefte und antwortete etwas.
    »Wenn du selbst auf dich aufpassen könntest, säßen wir nicht hier«, erwiderte Denna.
    Wieder ein Murmeln.
    »Eine Möglichkeit wäre es«, sagte Denna. »Du müsstest zwar die Hälfte deines Verdienstes abgeben, aber das ist immer noch besser als gar nichts zu bekommen und obendrein noch umgebracht zu werden. Das hast du heute Abend wahrscheinlich selber gemerkt.«
    Man hörte Stoff an Stoff reiben. Ich neigte mein Weinglas wieder nach vorn, um etwas sehen zu können, konnte aber nur erkennen, wie Denna eine unbestimmte Bewegung machte. »Lass sehen, was wir hier haben«, sagte sie. Einige Münzen fielen klimpernd auf den Tisch.
    Das Mädchen murmelte ehrfürchtig.
    »Nein, bin ich nicht«, erwiderte Denna. »So viel Geld ist es auch wieder nicht, wenn man sonst nichts auf der Welt besitzt. Du müsstest doch mittlerweile wissen, wie teuer es ist, hier in der Stadt Fuß zu fassen.«
    Ein Murmeln, das am Ende anstieg. Eine Frage.
    Ich hörte Denna ein- und ganz langsam wieder ausatmen. »Weil mir auch jemand geholfen hat, als ich es brauchte«, sagte sie. »Und |682| weil du sonst nicht lange überleben wirst. Nimm es von einer Frau, die selbst genug Fehler gemacht hat.«
    Ich hörte, wie Münzen über den Tisch geschoben wurden. »Also gut«, sagte Denna dann. »Erste Möglichkeit: Wir geben dich in eine Lehre. Du bist zwar schon ein wenig alt dafür, und kosten wird es auch etwas, aber es wäre möglich. Nichts Ausgefallenes. Weberei oder Flickschusterei. Du müsstest hart arbeiten, hättest aber Unterkunft und Verpflegung und würdest ein Handwerk lernen.«
    Ein fragendes Murmeln.
    »Mit deiner Aussprache?«, fragte Denna belustigt. »Kannst du einer vornehmen Dame Locken eindrehen? Farbe auf das Gesicht auftragen? Ihre Kleider flicken? Spitze häkeln?« Es entstand eine kurze Pause. »Nein, du bist nicht als Dienstmädchen ausgebildet, und ich wüsste auch nicht, wen ich bestechen könnte.«
    Die Münzen wurden eingesammelt. »Zweite Möglichkeit«, sagte Denna. »Wir mieten dir ein Zimmer, bis diese blauen Flecken verschwunden sind.« Münzen wurden über den Tisch geschoben. »Dann bezahlen wir dir eine Fahrt mit der Kutsche nach Hause.« Weitere Münzen folgten. »Du warst einen Monat lang weg. Nach so langer Zeit beginnt man sich ernsthaft Sorgen zu machen. Wenn du heimkommst, werden sich alle nur freuen, dass du überhaupt noch am Leben bist.«
    Ein Murmeln.
    »Erzähle ihnen, was du willst. Aber wenn du nur ein wenig Verstand hast, lass es vernünftig klingen. Niemand wird glauben, du hättest einen Prinzen kennengelernt, der dich nach Hause geschickt hat.«
    Ein so leises Murmeln, dass ich es kaum hörte.
    »Natürlich ist das schwer, du dummes Ding«, sagte Denna scharf. »Man wird es dir dein restliches Leben lang vorhalten. Auf

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