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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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lachen mögen, die beiden spielten geradezu eine modeganische Tragödie. Dann wieder hätte ich sie am liebsten geschüttelt.
    Tempi trottete stumm neben uns her wie ein braves Hündchen. Dabei beobachtete er unablässig Wald, Straße und Wolken. Ich hätte ihn für einen einfältigen Menschen gehalten, wäre nicht der unzweifelhaft intelligente Blick seiner Augen gewesen. Auf die wenigen Fragen, die ich ihm stellte, antwortete er weiter mit nervösen Gesten, Kopfnicken oder -schütteln und Achselzucken.
    Meine Neugier ließ mir unterdessen keine Ruhe. Natürlich wusste ich, dass es Lethani nur im Märchen gab, trotzdem beschäftigte mich der Gedanke daran. Sparte Tempi wirklich seine Worte in sich auf? Konnte er sein Schweigen tatsächlich wie eine Rüstung tragen? Sich |734| so schnell wie eine Schlange bewegen? Nachdem ich erlebt hatte, was Elxa Dal und Fela durch Anrufen der Namen des Feuers und des Steines bewirkten, kam mir der Gedanke, jemand könnte Worte in sich speichern, um sie dann gleichsam wie Brennholz abzubrennen, gar nicht mehr so abwegig vor.

    Nach und nach lernten wir uns mitsamt unseren besonderen Angewohnheiten besser kennen. Dedan etwa bereitete den Boden, auf dem er seine Decke zum Schlafen ausrollte, sorgfältig vor. Er entfernte nicht nur Zweige und Steine, sondern glättete auch Grasbüschel und andere Unebenheiten.
    Hespe pfiff unmelodisch, wenn sie glaubte, dass niemand ihr zuhörte, und entfernte nach jeder Mahlzeit sorgfältig die Essensreste zwischen ihren Zähnen. Marten aß kein Fleisch, das auch nur entfernt rosa aussah, und trank nur abgekochtes oder mit Wein vermischtes Wasser. Wir anderen bekamen von ihm mindestens zweimal täglich zu hören, dass wir Narren seien, es nicht auch so zu machen.
    Was seltsames Benehmen anbetraf, belegte Tempi freilich den Spitzenplatz. Er wich meinem Blick aus, lächelte nicht, runzelte nicht die Stirn und sprach nicht.
    Seit wir das Wirtshaus ZUM GÜLDENEN PENNY verlassen hatten, hatte er nur einmal etwas von sich aus gesagt. »Regen würde die Straße zu einer anderen Straße machen und den Wald zu einem anderen Wald.« Er hatte jedes Wort betont, als habe er den ganzen Tag an dem Satz gearbeitet. Was durchaus auch der Fall sein konnte.
    Er wusch sich zwanghaft. Während wir anderen das Badehaus benutzten, wenn wir in einem Wirtshaus Halt machten, badete er täglich. Übernachteten wir in der Nähe eines Bachs, badete er sowohl abends wie morgens nach dem Aufwachen. Sonst wusch er sich mit einem Lappen und etwas Trinkwasser.
    Zweimal am Tag vollführte er außerdem aufwendige Dehnübungen, bei denen er mit den Händen bestimmte Formen und Muster in |735| die Luft zeichnete. Ich fühlte mich an die langsamen höfischen Tänze erinnert, wie man sie in Modeg kennt.
    Er hielt durch diese Übungen offenbar seine Gelenke geschmeidig. Trotzdem boten sie einen seltsamen Anblick. Hespe machte sich denn auch darüber lustig. Wenn die Banditen uns zum Tanzen aufforderten, meinte sie, wären wir mit unserem frischgewaschenen Söldner fein heraus. Sie sagte es allerdings so leise, dass Tempi sie nicht hören konnte.
    Was persönliche Eigenheiten anging, konnte ich es mir kaum erlauben, auf andere zu zeigen. Ich selber spielte abends, wenn ich nicht vom Marschieren zu müde war, meist auf meiner Laute. Als Anführer oder Arkanist dürfte ich die anderen damit kaum beeindruckt haben.
    Je näher wir unserem Ziel kamen, desto beklommener wurde mir zumute. Marten brachte im Grunde als Einziger von uns die für unsere Aufgabe notwendigen Voraussetzungen mit. Dedan und Hespe mochten gut kämpfen, waren aber beschwerliche Weggefährten. Dedan war ein Dickkopf und Streithammel, Hespe war faul. Sie half bei der Vorbereitung der Mahlzeiten oder beim Aufräumen danach nur, wenn man sie dazu aufforderte, und selbst dann so widerwillig, dass sie keine große Hilfe war.
    Tempi schließlich war ein Auftragsmörder, der jedem Blick auswich und nicht mit mir redete. Ein Söldner, der meiner festen Überzeugung nach im modeganischen Theater Karriere machen konnte.

    Fünf Tage nach unserem Aufbruch aus Severen erreichten wir die Gegend, in der die Überfälle stattgefunden hatten: ein zwanzig Meilen langes, kurvenreiches Straßenstück, das durch den Eld führte und an dem keinerlei Ortschaften oder Wirtshäuser und nicht einmal aufgegebene Bauernhöfe lagen, ein menschenleeres Gebiet inmitten eines endlosen, nur von Bären, verrückten Einsiedlern und Wilderern bevölkerten

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