Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
Vom Netzwerk:
Hagelschauer, wie ein auf Messing einschlagender Hammer. Ich spielte so sanft wie der Sonnenschein auf einem wogenden Weizenfeld, so zart wie ein trudelndes Blatt. Bald schon begann mir von der Anstrengung der Atem zu stocken, und ich kniff die Lippen zu einem blutleeren Strich zusammen.
    Als ich mich durch den mittleren Refrain kämpfte, schüttelte ich den Kopf, um die Haare aus den Augen zu bekommen. Schweißperlen flogen in hohem Bogen und prasselten auf die Bühne hernieder. Ich atmete schwer, meine Brust pumpte wie ein Blasebalg.
    Das Lied erklang weiter, jeder einzelne Ton kristallklar. An einer Stelle hätte ich mich fast verhaspelt. Der Rhythmus wäre um ein Haar ins Stocken geraten … Doch dann fing ich mich irgendwie wieder und kämpfte mich hindurch und schaffte es bis zum Schluss und zupfte die Töne ganz leicht und zart, obschon meine Finger hundemüde und nur noch verschwommen zu erkennen waren.
    |85| Eben da es nicht mehr zu übersehen war, dass ich keinen Augenblick mehr so weitermachen konnte, scholl der letzte Akkord in den Saal hinaus, und ich sank erschöpft auf meinem Stuhl zusammen.
    Das Publikum brach in einen Beifallssturm aus.
    Doch nicht das ganze Publikum. Über den Saal verstreut brachen einige Dutzend Leute stattdessen in Gelächter aus, einige schlugen sogar vor Belustigung mit den Händen auf die Tische oder trampelten auf den Boden.
    Der Beifall geriet fast sofort ins Stocken und erstarb. Männer wie Frauen hielten mitten im Applaus inne und starrten die Lachenden an. Manche wirkten verärgert, andere verwirrt. Viele waren einfach gekränkt um meinetwillen, und wütendes Gemurmel begann sich im Saal zu erheben.
    Doch bevor ernsthafter Zank ausbrechen konnte, spielte ich einen einzelnen hohen Ton und hob eine Hand, wodurch ich die allgemeine Aufmerksamkeit wieder auf mich lenkte. Ich war noch nicht fertig. Noch nicht einmal halb.
    Ich setzte mich wieder richtig hin und ließ die Schultern ein wenig kreisen. Dann spielte ich einen Akkord, berührte kurz den losen Wirbel und begann ganz mühelos mit meinem zweiten Stück.
    Es war von Illien:
Tintatatornin
. Ihr habt vermutlich nie davon gehört. Verglichen mit Illiens anderen Werken ist es eine ziemliche Kuriosität. Zum einen hat es keinen Text. Und zum anderen ist es zwar ein schönes Lied, aber längst nicht so eingängig oder bewegend wie viele seiner bekannteren Melodien.
    Vor allem aber ist es unglaublich schwierig zu spielen. Mein Vater nannte es immer »das schönste Lied, das je für fünfzehn Finger geschrieben wurde«. Er ließ es mich spielen, wenn er mich allzu eingebildet fand und mich Demut lehren wollte. Es genügt wohl, wenn ich sage, dass ich es regelmäßig übte, zeitweise mehrmals täglich.
    Ich spielte also
Tintatatornin
. Ich lehnte mich auf dem Stuhl zurück und schlug ganz entspannt die Füße übereinander. Meine Finger schlenderten über die Saiten. Nach dem ersten Refrain atmete ich tief ein und seufzte, wie ein kleiner Junge, der an einem sonnigen Tag |86| nicht zum Spielen nach draußen darf. Mein Blick begann ziellos und gelangweilt durch den Saal zu schweifen.
    Während ich weiterspielte, rutschte ich auf dem Stuhl hin und her und suchte nach einer bequemeren Sitzposition, aber vergebens. Ich runzelte die Stirn, stand auf und sah den Stuhl an, als wäre er irgendwie schuld daran. Dann ließ ich mich wieder darauf nieder, einen unbehaglichen Ausdruck auf dem Gesicht.
    Und die ganze Zeit tanzten und tollten die zehntausend Töne von
Tintatatornin
. Zwischen zwei Akkorden nahm ich mir sogar die Zeit, mich gedankenverloren hinterm Ohr zu kratzen.
    Ich war so in mein Kabinettstückchen vertieft, dass ich tatsächlich ein Gähnen in mir aufsteigen spürte. Ich ließ es raus und gähnte so herzhaft, dass die Leute in der ersten Reihe meine Zähne hätten zählen können. Ich schüttelte den Kopf, wie um ihn wieder klar zu bekommen, und tupfte mir mit dem Ärmel die tränenden Augen ab.
    Und die ganze Zeit erklang
Tintatatornin
: Irrsinnig verzwickte Harmonien und Kontrapunkte, fehlerfrei vorgetragen. Und in meinen Händen erschien das alles so leicht wie ein Atemzug. Als ich schließlich am Ende angelangt war und im Finale noch ganz nebenbei ein Dutzend musikalische Fäden miteinander verknüpft hatte, machte ich keine große Geste. Ich hörte einfach auf zu spielen und rieb mir ein wenig die Augen. Kein Crescendo, keine Verbeugung, nichts. Ich ließ einfach nur die Finger knacken, beugte mich vor und legte

Weitere Kostenlose Bücher