Die Furcht des Weisen / Band 1
doch verstanden, was wir tun wollen, ja?«
Tempis Blick wanderte zu der Zeichnung auf dem Boden und wieder zu mir. Er zuckte die Achseln und machte eine unbestimmte Handbewegung. »Was bedeutet ›vieles, aber nicht alles‹?«
Ich glaubte im ersten Moment, er stelle mir eine seltsame philosophische Frage, doch dann begriff ich, dass er die Bedeutung eines Wortes wissen wollte. Ich hob die Hand und hielt mit der anderen Hand zwei Finger fest. »Einiges.« Ich nahm vier Finger. »Das meiste.«
Tempi sah mir aufmerksam zu und nickte. »Das meiste«, sagte |745| er mit einer Handbewegung. »Ich habe das meiste verstanden. Ihr sprecht schnell.«
»Wir suchen nach einigen Männern.« Er wandte den Blick wieder ab, sobald ich zu sprechen begann, und ich unterdrückte einen Seufzer. »Wir wollen sie finden.«
Tempi nickte. »Ja.
Jagd
auf Männer.« Er betonte das Wort. »Jagd auf
visantha.«
Wenigstens wusste er, warum wir hier waren. »Rot?« Ich streckte die Hand aus und berührte einen der roten Lederriemen, mit denen sein Hemd um den Oberkörper geschnürt war. Das Leder war überraschend weich. »Hast du andere Kleider für die Jagd? Die nicht rot sind?«
Tempi sah an sich hinab. Dann nickte er, ging zu seinem Reisesack und zog ein schlichtes graues Hemd heraus. Er hielt es hoch. »Für die Jagd. Nicht zum Kämpfen.«
Ich war nicht sicher, ob ich den Unterschied verstand, ließ es aber dahingestellt. »Was tust du, wenn die
visantha
dir im Wald begegnen? Reden oder kämpfen?«
Er schien zu überlegen. »Kann nicht gut reden«, gestand er schließlich.
»Visantha?
Kämpfen.«
Ich nickte. »Gegen einen von ihnen ja. Bei zweien reden.«
Tempi hob die Schultern. »Kann auch gegen zwei kämpfen.«
»Und sie besiegen?«
Er zuckte wieder gleichgültig die Achseln und zeigte auf Dedan, der kleine Zweige vom Boden aufklaubte. »Wie ihn? Drei oder vier.« Er streckte die Hand mit dem Handteller nach oben aus, als wollte er mir etwas anbieten. »Bei drei Banditen: kämpfen. Bei vier: versuchen zu reden. Warten bis zur dritten Nacht. Dann …« Er machte eine seltsam verschlungene Bewegung mit beiden Händen. »Feuer in Zelte.«
Ich stellte erleichtert fest, dass er unsere Gespräche offenbar verstanden hatte. »Ja, gut. Danke.«
Wir nahmen eine ruhige Mahlzeit ein, bestehend aus Suppe, Brot und einem faden, gummiartigen Käse, den wir in Crosson gekauft hatten. Dedan und Hespe zankten sich, allerdings nicht ernsthaft, und ich stellte gemeinsam mit Marten Mutmaßungen über das Wetter der folgenden Tage an.
|746| Davon abgesehen wurde nicht viel geredet. Zwei von uns hatten sich bereits geprügelt. Wir hatten seit Severen hundert Meilen zurückgelegt und wussten, dass uns eine schwierige Aufgabe bevorstand.
»Eins noch«, sagte Marten. »Was passiert, wenn die Banditen
dich
erwischen?« Er sah mich an. »Wir anderen wissen, was wir in so einem Fall zu tun haben: Wir gehen mit ihnen mit und du findest uns am dritten Tag.«
Ich nickte. »Und vergesst nicht, sie in Sicherheit zu wiegen.«
»Aber wenn sie nun dich erwischen? Ich kann nicht zaubern und weiß nicht, ob ich die Banditen bis zur dritten Nacht finde. Wahrscheinlich ja, aber garantieren kann ich es nicht.«
»Ich bin nur ein harmloser Musikant«, versicherte ich ihm. »Ich habe mich mit der Nichte des Barons Banbridge angelegt und hielt es für geraten, eine Weile im Wald zu verschwinden.« Ich grinste. »Vielleicht rauben sie mich aus, aber da ich nicht viel bei mir habe, lassen sie mich wahrscheinlich laufen. Ich kann gut reden und sehe nicht aus, als könnte ich ihnen gefährlich werden.«
Dedan brummte etwas, das ich Gott sei Dank nicht verstand.
»Aber Marten hat recht«, beharrte Hespe. »Was ist, wenn sie dich doch mitnehmen?«
Das hatte ich noch nicht überlegt. Doch der Abend sollte nicht in allgemeiner Ratlosigkeit enden, deshalb lächelte ich mein zuversichtlichstes Lächeln. »Wenn sie mich mitnehmen, töte ich sie einfach alle.« Ich zuckte scheinbar unbekümmert die Schultern. »Anschließend kehre ich zu euch ins Lager zurück.« Grinsend klopfte ich auf den Boden neben mir.
Ich hatte einen Scherz machen wollen. Zumindest Marten würde gewiss über meine Antwort lachen. Doch ich hatte unterschätzt, wie tief der Aberglauben in Vintas verwurzelt ist. Auf meine Worte folgte nur unbehagliches Schweigen.
Danach versiegte das Gespräch. Wir losten aus, wer wann die Wache zu übernehmen hatte, löschten das Feuer und legten uns
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