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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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Dann deutete er noch auf eine bloßliegende, verschrammte Wurzel, die ich nicht bemerkt hatte.
    Schwindlig vor Aufregung zog ich meinen Zweig aus der Tasche und benachrichtigte Marten. Ich ruckte nur ganz vorsichtig daran, damit er nicht schon wieder einen Schrecken bekam.
    Wenige Augenblicke später tauchte er vor uns aus dem Wald auf. Ich hatte mir in dieser kurzen Zeit schon drei Pläne ausgedacht, wie wir die Banditen fangen und töten konnten. Des weiteren hatte ich fünf Monologe verfasst, in denen ich Denna um Verzeihung bat, und beschlossen, nach meiner Rückkehr nach Severen der Thelanerkirche zum Dank für dieses Wunder Geld zu spenden.
    Ich rechnete damit, dass Marten verärgert sein würde, weil wir ihn jetzt schon riefen, doch er verzog keine Miene.
    |752| Ich zeigte auf das Gras, die Rinde und die Wurzel. »Die Wurzel hat Tempi entdeckt.« Ehre, wem Ehre gebührt.
    »Gut«, sagte Marten ernst. »Gut gemacht. Dort drüben hängt noch ein abgeknickter Zweig.« Er zeigte auf einen Busch in einigen Schritten Entfernung.
    Ich drehte mich in die Richtung, in welche die Spur offenbar verlief. »Vermutlich sind sie nach Norden gegangen«, sagte ich. »Von der Straße weg. Meinst du, wir sollten ihnen jetzt gleich folgen oder bis morgen warten, wenn wir ausgeruht sind?«
    Marten sah mich von der Seite an. »Mein Gott, Junge, das sind doch keine echten Spuren. So offenkundig und so dicht beisammen.« Er musterte mich prüfend.
»Ich
habe sie hinterlassen. Ich wollte mich vergewissern, dass ihr nicht schon nach ein paar Minuten Suche in eurer Aufmerksamkeit nachlasst.«
    Meine Begeisterung fiel in sich zusammen. Ich muss ein jämmerliches Gesicht gemacht haben, denn Marten lächelte entschuldigend. »Tut mir leid, ich hätte es dir sagen sollen. Ich werde euch täglich irgendwelche Spuren hinterlassen. Nur so bleiben wir wachsam. Ich suche nicht zum ersten Mal nach einer Stecknadel im Heuhaufen.«

    Als wir Marten zum dritten Mal zurückriefen, schlug er uns eine Wette vor. Tempi und ich sollten für jede gefundene Spur einen Halbpenny bekommen, er dagegen einen Silberbit für jede, die wir übersahen. Ich schlug sofort ein. Die Wette würde uns wach halten, außerdem rechnete ich mir gute Chancen aus.
    Der Rest des Tages verging schnell. Einige Spuren übersahen wir: einen geringfügig verschobenen Baumstamm, einige auf dem Boden verstreute Blätter und ein zerrissenes Spinnennetz. Das Spinnennetz fand ich ein wenig übertrieben. Trotzdem hatten Tempi und ich bei unserer Rückkehr ins Lager an diesem Abend zwei Pennys Vorsprung.
    Beim Abendessen erzählte Marten die Geschichte vom Sohn einer Witwe, der auszog, um sein Glück zu machen. Ein fahrender Händler verkaufte ihm ein Paar Zauberstiefel, mit deren Hilfe er eine Prinzessin aus einem Turm im Gebirge befreite.
    |753| Dedan nickte immer wieder und lächelte, als hätte er die Geschichte schon einmal gehört. Hespe lachte an einigen Stellen, an anderen hielt sie erschrocken die Luft an, wie man es von einer guten Zuhörerin erwartet. Tempi saß ohne seine sonstige Ruhelosigkeit vollkommen unbewegt und mit im Schoß gefalteten Händen da und hörte zu, während sein Essen kalt wurde.
    Es war eine gute Geschichte. Auch ein hungriger Riese kam in ihr vor und ein Rätsel, das gelöst werden musste. Der Sohn der Witwe meisterte alles, und am Ende befreite er die Prinzessin und heiratete sie. Die Geschichte klang vertraut, und ich fühlte mich an jene längst vergangene Zeit erinnert, als ich noch ein Zuhause und eine Familie gehabt hatte.

|754| Kapitel 80
Aussprache
    A m folgenden Tag zog Marten mit Hespe und Dedan los, während Tempi und ich zurückblieben, um das Lager zu bewachen. In Ermangelung einer anderen Beschäftigung begann ich Brennholz zu sammeln. Anschließend suchte ich im Unterholz nach nützlichen Kräutern und holte Wasser von der nahen Quelle. Dann packte ich meinen Reisesack aus, ordnete alles und packte es wieder ein.
    Tempi nahm sein Schwert auseinander, säuberte gewissenhaft alle Teile und ölte sie ein. Er wirkte nicht gelangweilt, jedoch sah man ihm nie eine Gefühlsregung an.
    Gegen Mittag war ich vor Langeweile schon halb verrückt. Wenn ich ein Buch dabeigehabt hätte, hätte ich gelesen. Ich hätte auch Taschen in meinen zerschlissenen Umhang genäht, doch fehlte mir der Stoff. Natürlich hätte ich auch Laute spielen können, aber eine Musikantenlaute ist dafür gebaut, in einer lärmenden Schankstube zu erklingen. Im stillen Wald

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