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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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tun, als hätten wir nichts bemerkt? Wie sollte ich mich im Fall eines Angriffs wehren? In meinem Gürtel steckte zwar das Messer, das ich dem Kessler abgekauft hatte, aber ich hatte keine Ahnung, wie ich es verwenden sollte. Mir wurde plötzlich klar, dass ich auf einen Angriff überhaupt nicht vorbereitet war. Was zum Teufel hatte ich in diesem Wald verloren? Ich gehörte nicht hierher. Warum hatte der Maer mich geschickt?
    Mir brach der Angstschweiß aus. Plötzlich ertönte lautes Rascheln und Splittern aus dem Gebüsch. Ein Hirsch mit einem mächtigen Geweih brach durchs Gehölz und setzte in drei eleganten Sprüngen über die Straße. Ihm folgten zwei Hirschkühe. Eine davon blieb in der Mitte der Straße stehen und sah uns neugierig an. Ihre langen Ohren zuckten. Dann verschwand auch sie zwischen den Bäumen auf der anderen Seite.
    Mein Herz raste und ich lachte nervös. Tempi hatte das Schwert gezogen. Jetzt krümmte er die Finger der linken Hand zum Zeichen |803| seiner Verlegenheit und machte einige rasche Gesten, die ich nicht verstand.
    Anschließend schob er das Schwert mit einer so beiläufigen Bewegung wieder in die Scheide, als steckte er die Hand in eine Tasche.
Enttäuschung.
    Ich nickte. So froh ich war, dass in meinem Rücken keine Pfeile steckten, bei einem Überfall hätten wir wenigstens erfahren, wo die Banditen sich aufhielten.
Zustimmung.
    Schweigend setzten wir den Weg nach Crosson fort.

    Crosson war ein bescheidener Ort mit lediglich zwanzig bis dreißig Häusern inmitten eines undurchdringlichen Waldes. Wahrscheinlich hätte es nicht einmal einen Namen gehabt, hätte es nicht an der Straße des Königs gelegen.
    So aber besaß es einen einigermaßen gut bestückten Gemischtwarenladen zur Versorgung der Reisenden und einiger Bauernhöfe der Umgebung. Außerdem gab es eine kleine Poststation, die zugleich als Mietstall und Schmiede diente, und eine kleine Kirche, in der außerdem Bier gebraut wurde.
    Ein Wirtshaus gab es natürlich auch. Der LACHENDE MOND war zwar kaum ein Drittel so groß wie der GÜLDENE PENNY, bot aber immer noch deutlich mehr, als man in einem Ort dieser Größe erwarten konnte. Er bestand aus zwei Stockwerken und hatte drei Gästezimmer und ein Badehaus. Ein großes, handgemaltes Schild zeigte einen Dreiviertelmond, der mit einer Weste bekleidet war und sich vor Lachen den Bauch hielt.
    Ich hatte meine Laute mitgenommen, weil ich hoffte, im Tausch für ein Mittagessen spielen zu können. Das Mittagessen diente mir allerdings nur als Vorwand. Mir war jeder Anlass zum Spielen recht. Die erzwungene Spielpause setzte mir genauso zu wie Dedans ständige Nörgelei. Ich hatte seit meiner Zeit auf den Straßen von Tarbean nicht mehr so lange ohne Musik auskommen müssen.
    Wir übergaben unsere Einkaufsliste der Inhaberin des Ladens, einer älteren Frau. Vier große Laibe eines harten, lange haltbaren |804| Brots, ein halbes Pfund Butter, ein Viertelpfund Salz, Mehl, gedörrte Äpfel, Würstchen, eine Speckseite, ein Sack Rüben, sechs Eier, zwei Knöpfe, neue Federn für Martens Jagdpfeile, Schnürsenkel, Seife und einen neuen Wetzstein als Ersatz für den alten, den Dedan zerbrochen hatte. Insgesamt würden wir dafür acht Silberbits aus der immer leichter werdenden Börse des Maer zahlen müssen.
    Da wir wussten, dass es ein bis zwei Stunden dauern würde, bis alle Einkäufe bereitlagen, begaben wir uns zum Mittagessen in das Wirtshaus gegenüber. Zu meiner Überraschung schlug uns aus der Schankstube Lärm entgegen. Normalerweise erwachten solche Wirtshäuser erst am Abend zum Leben, wenn Reisende für die Nacht abstiegen, nicht aber am helllichten Tag, wenn die Dorfbewohner auf den Feldern oder der Straße arbeiteten.
    Wir öffneten die Tür und Stille kehrte ein. Im ersten Moment hoffte ich noch, die Gäste würden sich über einen Musikanten freuen, doch dann sah ich, dass ihre Blicke ausschließlich auf Tempi in seinen roten Kleidern gerichtet waren.
    Fünfzehn bis zwanzig Gäste saßen in der Stube, einige am Tresen, die anderen an Tischen. Zwar fanden wir noch einen Tisch für uns, aber es dauerte eine Weile, bevor die einzige Kellnerin zu uns kam. Sie wirkte gehetzt.
    »Was kann ich euch bringen?«, fragte sie und schob sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Wir haben Erbsensuppe mit Speck und Brotauflauf.«
    »Klingt gut«, sagte ich. »Können wir auch Äpfel und Käse bekommen?«
    »Was wollt ihr trinken?«
    »Für mich süßen Most.«
    »Bier«, sagte Tempi.

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