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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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Dann zeigte er mit zwei Fingern auf die Tischplatte. »Und einen kleinen Whiskey. Einen guten.«
    Die Kellnerin nickte. »Könnt ihr im Voraus zahlen?«
    Ich hob die Augenbrauen. »Gab es in letzter Zeit Schwierigkeiten?«
    Sie seufzte nur und rollte mit den Augen.
    Ich gab ihr drei Halbpennys und sie eilte weg. Inzwischen war ich mir aufgefallen, dass die Blicke, mit denen die anderen Gäste Tempi musterten, keineswegs freundlich waren.
    |805| Ich wandte mich an einen Mann, der am Nachbartisch schweigend seine Suppe verzehrte. »Ist heute etwa Markt?«
    Er sah mich an, als käme ich von einem anderen Stern. Am Kinn hatte er einen Bluterguss, der sich violett verfärbt hatte. »In Crosson gibt es keinen Markt.«
    »Als ich vor einiger Zeit hier vorbeikam, war alles ruhig. Was tun die vielen Leute hier?«
    »Dasselbe wie immer. Sie suchen Arbeit. Crosson ist die letzte Haltestation vor dem eigentlichen Wald. Karawanen sind gut beraten, hier noch den einen oder anderen zusätzlichen Wachmann anzuheuern.« Der Mann trank einen Schluck. »Leider sind in letzter Zeit zu viele Reisende im Wald erschossen worden. Es kommen nicht mehr viele Karawanen durch Crosson.«
    Ich sah mich um. Die anderen Gäste trugen keine Rüstung, aber bei genauerem Hinsehen entdeckte ich, dass die meisten wohl trotzdem Söldner waren. Sie wirkten rauher als normale Reisende oder Bauern und redeten auch lauter. Außerdem hatten sie Narben und manche gebrochene Nase, und sie waren mit Messern bewaffnet.
    Der Mann ließ den Löffel in den leeren Teller fallen und stand auf.
    »Ich überlasse euch gern das Feld«, sagte er. »In den sechs Tagen, die ich jetzt hier bin, sind nur vier Fuhrwerke durch Crosson gekommen. Außerdem würde nur ein Narr sich als Begleiter für eine Fahrt nach Norden anheuern lassen.«
    Er hob einen großen Reisesack auf und hängte ihn sich über die Schulter. »Angesichts der vielen Vermissten würde sich auch nur ein Narr hier einen Begleiter suchen. Ich sage euch eins: Die Hälfte der hier anwesenden Lumpen würde euch wahrscheinlich gleich in der ersten Nacht auf der Straße die Kehle durchschneiden.«
    Ein breitschultriger Mann mit einem struppigen schwarzen Bart, der am Tresen stand, lachte spöttisch. »Nur weil du nicht würfeln kannst, bin ich noch lange kein Lump, du Waschlappen«, rief er mit einem breiten nordischen Akzent. »Aber wenn du das noch mal behauptest, bekommst du von mir das Doppelte von gestern Abend und dazu noch Zinsen.«
    Der Mann, mit dem ich gesprochen hatte, machte eine Handbewegung, |806| die man auch verstand, wenn man kein Adem war, und ging zur Tür. Der Bärtige lachte.
    Im selben Augenblick kamen unsere Getränke. Tempi trank seinen Whiskey auf einen Zug halb leer und lehnte sich mit einem zufriedenen Seufzer zurück. Ich nahm einen Schluck von meinem Most. Ich hatte im Austausch für ein Mittagessen ein oder zwei Stunden spielen wollen. Aber nur ein Dummkopf hätte vor einem Publikum gespielt, das aus unzufriedenen Söldnern bestand.
    Ich hätte es mir zugetraut, wohlgemerkt. In einer Stunde hätten alle gelacht und gesungen, und noch eine Stunde später hätten sie in ihr Bier geweint und sich bei der Kellnerin entschuldigt. Aber nicht um den Preis einer Mahlzeit und auch nicht, solange es nicht unbedingt nötig war. Es roch hier förmlich nach Streit, ein erfahrener Schauspieler wie ich spürte das sofort.
    Der breitschultrige Mann nahm einen hölzernen Becher vom Tresen, schlenderte demonstrativ gleichgültig zu unserem Tisch und zog sich einen Stuhl her. Er lächelte breit und unaufrichtig durch seinen struppigen Bart und streckte Tempi die Hand hin. »Sei gegrüßt«, sagte er so laut, dass alle Anwesenden es hören konnten. »Ich bin Tam. Und du?«
    Tempi ergriff die Hand und schüttelte sie. Seine eigene Hand lag klein und weiß in der haarigen Pranke des anderen. »Tempi.«
    Tam grinste. »Und was führt dich hierher?«
    »Wir sind nur auf der Durchreise«, sagte ich. »Wir haben uns unterwegs kennengelernt, und Tempi war so nett, mich zu begleiten.«
    Tam musterte mich abschätzig. »Ich spreche nicht mit dir, Kleiner«, knurrte er. »Du hältst die Klappe.«
    Tempi schwieg und betrachtete den Hünen mit seiner üblichen ruhigen, aufmerksamen Miene. Ich sah, wie er die linke Hand ans Ohr hob, eine Geste, die ich nicht kannte.
    Tam trank, ohne Tempi aus den Augen zu lassen. Als er den Becher wieder absetzte, waren die schwarzen Haare um seinen Mund nass. Er wischte mit dem

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