Die Furcht des Weisen / Band 1
hoch. »Du Angeber«, fauchte sie. »Ich zeige dir schon, wie eine Frau kämpfen kann.«
Tempi nickte höflich.
Er schien überhaupt nicht besorgt, und ich beruhigte mich wieder ein wenig. Natürlich kannte auch ich die Geschichten, in denen ein einziger Krieger der Adem zwölf gewöhnliche Soldaten besiegt hatte. Konnte Tempi wirklich gegen drei Gegner auf einmal kämpfen? Er selbst schien es jedenfalls zu glauben.
Tempi sah seine Herausforderer an. »Ich kämpfe zum ersten Mal auf diese Weise. Wie fangen wir an?«
Die Hand, mit der ich das Messer hielt, begann zu schwitzen.
Tam trat so dicht vor Tempi, dass er ihn fast berührte. »Zuerst prügeln wir dich blutig, dann decken wir dich mit Fußtritten ein. Und dann wiederholen wir das Ganze, um sicher zu gehen, dass wir nichts vergessen haben.« Blitzschnell rammte er Tempi die Stirn ins Gesicht.
Der Atem stockte mir, und dann war der Kampf auch schon vorbei.
Ich hatte erwartet, dass Tempi mit gebrochener und blutender Nase zurücktaumeln würde. Stattdessen wankte Tam und hielt sich aufheulend das Gesicht. Zwischen seinen Fingern lief Blut hervor.
Tempi ging ihm nach, legte ihm die Hand auf den Nacken und warf ihn scheinbar mühelos zu Boden, wo er in einem Durcheinander aus Armen und Beinen liegen blieb.
Sofort wandte Tempi sich der blonden Frau zu und versetzte ihr einen Fußtritt gegen die Hüfte. Während sie noch taumelte, schlug Tempi ihr mit der Faust an die Schläfe. Wie vom Blitz getroffen sackte sie in sich zusammen.
Im selben Augenblick griff der Glatzkopf an. Er hatte die Arme wie ein Ringkämpfer ausgebreitet. Blitzschnell wie eine Schlange packte er Tempi an Schulter und Hals.
Ich kann beim besten Willen nicht sagen, was dann geschah. Es |812| folgte ein kurzes Gerangel, dann hielt Tempi den anderen an Handgelenk und Schulter gepackt. Der Glatzkopf wehrte sich fluchend, doch Tempi drehte ihm den Arm auf den Rücken, bis er vornübergebeugt auf die Bodendielen starrte. Dann trat er ihm die Beine weg und warf ihn zu Boden.
Das alles geschah schneller, als ich es erzählen kann. Wenn ich nicht wie betäubt gewesen wäre, hätte ich Beifall geklatscht.
Tam und die Frau lagen in tiefer Bewusstlosigkeit wie tot da. Der Glatzkopf dagegen knurrte wütend etwas Unverständliches und rappelte sich unsicher auf. Tempi trat zu ihm hin und verpasste ihm wie beiläufig einen präzisen Faustschlag gegen den Kopf. Der Glatzkopf erschlaffte und sank wieder zu Boden.
Es war, dachte ich benommen, die höflichste Ohrfeige, die ich je gesehen hatte. Tempi hatte seine Kraft so genau dosiert wie ein Zimmermann, der einen Nagel einschlägt. Der Zimmermann schlägt so stark zu, dass der Nagel ganz im Holz verschwindet, aber nicht so stark, dass das umliegende Holz beschädigt wird.
Dann herrschte in der Gaststube Totenstille. Der Mann, der nicht hatte kämpfen wollen, hob anerkennend seinen Krug und verschüttete dabei ein wenig vom Inhalt. »Bravo!«, rief er und lachte. »Niemand wird es dir verdenken, wenn du Tam noch einen Fußtritt verpasst, solange er am Boden liegt. Das hat er weiß Gott oft genug selber gemacht.«
Tempi sah auf den bewusstlosen Tam hinunter, als überlege er es, dann schüttelte er den Kopf und kehrte an unseren Tisch zurück. Alle Blicke folgten ihm, doch waren sie viel weniger finster als zuvor.
Tempi blieb vor mir stehen. »Hast du meinen Rücken im Auge behalten?«
Ich sah ihn verwirrt an und nickte dann.
»Was hast du gesehen?«
Erst jetzt begriff ich, was er meinte. »Dein Rücken war sehr gerade.«
Anerkennung.
»Deiner ist das nicht.« Tempi hielt die flache Hand schräg. »Deshalb verlierst du beim Ketan das Gleichgewicht. Es ist …« Sein Blick fiel auf das Messer, das ich halb versteckt unter meinen Mantel hielt, und er verstummte. Dann runzelte er tatsächlich die |813| Stirn. Es war das erste Mal, dass ich ihn das tun sah, und es wirkte zu meiner Verwunderung geradezu furchterregend.
»Darüber sprechen wir später«, sagte er. Mit einer Handbewegung gab er mir seine entschiedenste Missbilligung zu verstehen.
Ich fühlte mich schlimmer bestraft als mit einer ganzen Stunde auf den Hörnern. Kleinlaut senkte ich den Kopf und steckte das Messer weg.
Wir marschierten schwer beladen einige Stunden, ohne zu reden. Dann endlich brach Tempi das Schweigen. »Eines musst du lernen.«
Ernst.
»Sehr gerne«, sagte ich und machte eine Geste, die hoffentlich ebenfalls
ernst
bedeutete.
Tempi ging zum Rand der Straße, stellte
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