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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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länger als zehn Minuten wach gewesen und nicht mehr ganz so benebelt. »Du wärst nicht die Erste, die mich deshalb einlädt«, sagte ich freimütig. »Wenn du darauf bestehst, nehme ich ein Greysdale-Met.«
    Ich sah zu, wie sie zum Tresen zurückging. Wenn sie eine Studentin war, war sie neu. Wäre sie schon länger als einige wenige Tage |101| hier gewesen, so hätte ich durch Sim davon erfahren. Er behielt die schönsten Mädchen der Stadt stets im Auge und machte ihnen mit stümperhaftem Eifer den Hof.
    Die Modeganerin kam wieder, setzte sich mir gegenüber und schob mir einen Holzkrug über den Tisch. Anker musste ihn gerade erst gespült haben, denn wo sie mit ihrem roten Handschuh den Griff berührt hatte, waren ihre Finger feucht.
    Sie hob ihr Glas, das mit Rotwein gefüllt war. »Auf Ambrose Jakis!«, sagte sie mit plötzlicher Heftigkeit. »Möge er in einen Brunnenschacht fallen und verrecken.«
    Ich nahm meinen Krug und trank einen Schluck und fragte mich, ob es im Umkreis von fünfzig Meilen um die Universität auch nur eine einzige Frau gab, der Ambrose noch nicht übel mitgespielt hatte. Diskret wischte ich mir die Hand an der Hose trocken.
    Die Frau trank eine tiefen Schluck Wein und stellte dann unsanft ihr Glas ab. Ihre Pupillen waren geweitet. Trotz der frühen Stunde musste sie schon einiges intus haben.
    Mit einem Mal nahm ich Muskat- und Pflaumengeruch wahr. Ich roch an meinem Krug und sah mir dann die Tischplatte an, weil ich dachte, jemand hätte etwas von einem Getränk vergossen. Doch da war nichts.
    Die Frau mir gegenüber brach urplötzlich in Tränen aus. Und das war kein dezentes Schluchzen, sondern wirkte, als hätte jemand einen Hahn aufgedreht.
    Sie sah auf ihre behandschuhten Hände hinab und schüttelte den Kopf. Dann zog sie sich den feucht gewordenen Handschuh aus, sah mich an und presste ein Dutzend Worte Modeganisch hervor.
    »Tut mir leid«, sagte ich hilflos, »aber ich spreche kein –«
    Doch da war sie schon aufgesprungen. Sie wischte sich mit der Hand übers Gesicht und lief zum Ausgang.
    Anker, der hinterm Tresen stand, und alle anderen im Raum starrten mich an.
    »Das ist nicht meine Schuld«, sagte ich und wies in Richtung Tür. »Sie ist ganz von allein plötzlich durchgedreht.«
    Ich wäre ihr nachgelaufen und hätte versucht, die Sache aufzuklären, aber sie war bereits draußen, und mein Prüfungsgespräch begann |102| in nicht mal einer Stunde. Und außerdem hätte ich, wenn ich sämtlichen Frauen hätte beistehen wollen, die unter Ambrose gelitten hatten, keine Zeit mehr zum Schlafen oder Essen gefunden.
    Das Gute dabei war, dass mir diese sonderbare Begegnung einen klaren Kopf verschafft hatte und ich den Schlafmangel nicht mehr spürte. Also beschloss ich, das zu nutzen und die Prüfung hinter mich zu bringen.

    Auf dem Weg zum Hollows kaufte ich mir an einem Karren eine goldbraune Fleischpastete. Mir war klar, dass ich jeden Penny für die Studiengebühren brauchte, aber das Geld für eine halbwegs anständige Mahlzeit machte da auch keinen Unterschied mehr. Die Pastete war schön warm und enthielt Hühnerfleisch, Möhren und Salbei. Ich aß sie im Gehen und genoss die kleine Freiheit, mir etwas nach meinem Geschmack zu leisten, statt mich mit dem zu begnügen, was Anker übrig hatte.
    Als ich gerade den letzten Rest Kruste verputzte, roch ich Honigmandeln. Ich kaufte mir eine große Portion in einem Beutel aus getrockneten Maisblättern. Das kostete vier Deut, aber ich hatte seit Jahren keine Honigmandeln mehr gegessen, und ein bisschen zusätzlicher Zucker im Blut konnte mir beim Beantworten der Prüfungsfragen nicht schaden.
    Die Schlange der Prüflinge erstreckte sich quer über den Hof. Das war nicht ungewöhnlich, ärgerte mich aber dennoch. Ich entdeckte ein Gesicht, das ich aus dem Handwerkszentrum kannte, und gesellte mich zu der jungen, grünäugigen Frau, die ebenfalls für die Prüfung anstand.
    »Hallo«, sagte ich. »Du heißt Amlia, nicht wahr?«
    Sie lächelte nervös und nickte.
    »Ich bin Kvothe«, sagte ich mit einer angedeuteten Verbeugung.
    »Ich weiß, wer du bist«, sagte sie. »Ich habe dich schon im Handwerkszentrum gesehen.«
    Ich hielt ihr meinen Beutel hin. »Magst du eine Honigmandel?«
    Amlia schüttelte den Kopf.
    |103| »Die sind aber wirklich lecker«, sagte ich und rüttelte die Mandeln verlockend in dem Beutel hin und her.
    Sie griff zögernd zu und nahm sich eine.
    »Ist das hier die Schlange für zwölf Uhr mittags?«,

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