Die Furcht des Weisen / Band 1
steckte es in meinen Beutel.
Vier Talente
.
Ich war unterwegs zum Handwerkszentrum und wollte sehen, ob meine Leuchten endlich verkauft waren, als ich auf einem Hof eine Gestalt in einem dunklen Meistergewand und mit einem mir nur allzu bekannten Gesicht entdeckte.
»Meister Elodin!«, rief ich. Er steuerte gerade auf einen Nebeneingang des Meistergebäudes zu. Es war eines der wenigen Gebäude der Universität, das ich von innen nicht allzu gut kannte, denn dort befanden sich hauptsächlich die Wohnungen der Meister und Giller sowie Gästezimmer für zu Besuch weilende Arkanisten.
Als er seinen Namen hörte, wandte er sich um. Doch als er mich erblickte, der auf ihn zugelaufen kam, verdrehte er nur die Augen und ging weiter auf den Eingang zu.
»Meister Elodin!«, sagte ich, ein wenig aus der Puste. »Kann ich Euch schnell eine Frage stellen?«
»Statistisch gesehen höchstwahrscheinlich schon«, sagte er und schloss mit einem großen Messingschlüssel die Tür auf.
»
Darf
ich Euch eine Frage stellen?«
»Ich bezweifle, dass irgendeine der Menschheit bekannte Macht dich davon abhalten könnte.« Er öffnete die Tür und betrat das Gebäude.
Ich war zwar nicht eingeladen, schlüpfte aber hintendrein. Elodin war stets schwierig aufzutreiben, und ich fürchtete, wenn ich diese |122| Gelegenheit nicht nutzte, würde ich ihn womöglich eine Spanne lang nicht wiedersehen.
Ich folgte ihm einen engen Korridor entlang. »Ich habe gerüchteweise gehört, dass Ihr eine Gruppe von Studenten zusammenstellt, die bei Euch Namenskunde studieren soll«, sagte ich vorsichtig.
»Das ist keine Frage«, erwiderte Elodin und ging eine lange, schmale Treppe hinauf.
Ich widerstand dem Drang, unfreundlich zu werden, und atmete stattdessen tief durch. »Ist es wahr, dass Ihr ein solches Seminar geben werdet?«
»Ja.«
»Hattet Ihr vor, mich daran zu beteiligen?«
Elodin blieb auf der Treppe stehen und sah sich zu mir um. Das dunkle Meistergewand passte gar nicht zu seiner sonstigen Erscheinung. Sein Haar war zerzaust, und sein Gesicht wirkte fast jungenhaft.
Er sah mich eine ganze Weile an. Dabei musterte er mich von Kopf bis Fuß, als wäre ich ein Pferd, auf das zu wetten er überlegte, oder eine Rinderhälfte, die er pfundweise verkaufen wollte.
Doch richtig beunruhigend wurde es erst, als unsere Blicke sich trafen. Da kam es mir fast so vor, als würde im Treppenhaus das Licht gedämpft oder als würde ich mit einem Mal unter Wasser gedrückt und bekäme keine Luft mehr.
»Verdammt noch mal, du Schwachkopf«, hörte ich eine mir bekannte Stimme wie aus weiter Ferne sagen. »Wenn du schon wieder in Katatonie verfällst, dann sei doch wenigstens so anständig, das im Refugium zu erledigen, damit du uns die Mühe sparst, deinen mit Schaum besprenkelten Kadaver wieder dorthin karren zu müssen. Und wenn es das nicht ist, dann geh mir gefälligst aus dem Weg.«
Elodin wandte den Blick von mir ab, und mit einem Schlag war alles wieder hell und klar. Fast hätte ich tief Luft eingesogen.
Meister Hemme stürmte die Treppe herab und drängte Elodin mit der Schulter sehr unsanft beiseite. Als er mich sah, schnaubte er. »Natürlich. Der zweite Schwachkopf ist auch zur Stelle. Darf ich dir mal ein Buch empfehlen, zur angelegentlichen Lektüre?
Flure und Treppenhäuser. Ihre Form und Funktion. Ein Leitfaden für geistig Behinderte
.«
|123| Er warf mir einen finsteren Blick zu, und als ich nicht augenblicklich beiseite wich, bedachte er mich mit einem ausgesprochen unfreundlichen Lächeln. »Ah, aber du hast ja in der Bibliothek immer noch Hausverbot, nicht wahr? Soll ich dafür sorgen, dass die wichtigsten Informationen daraus auch in einer Form dargeboten werden, die für Leute deines Schlags eher zugänglich ist? Als Pantomime vielleicht oder als Marionettentheater?«
Ich trat beiseite, und Hemme stürmte, in sich hinein grummelnd, an uns vorüber. Elodin durchbohrte den breiten Rücken des anderen Meisters mit Blicken. Erst nachdem Hemme hinter der nächste Ecke verschwunden war, wandte er sich wieder mir zu.
Er seufzte. »Vielleicht wäre es besser, wenn du dich auf andere Studienfächer konzentrieren würdest, Re’lar Kvothe. Dal schätzt dich und Kilvin ebenso. Und bei ihnen scheinst du gute Fortschritte zu machen.«
»Aber Sir«, sagte ich und bemühte mich, mir meine Bestürzung nicht anmerken zu lassen. »Ihr habt doch für mich gebürgt, als man mich zum Re’lar befördert hat.«
Er wandte sich ab und ging
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