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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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aus der Tasche und schloss damit eine Tür am anderen Ende des Flurs auf. »Was ist deine Entschuldigung?«

|128| Kapitel 9
Ein höflicher Ton
    M ein Haar war noch feucht, als ich über einen kurzen Korridor und eine Treppe die Bühne eines leeren Theatersaals betrat. Der Raum war wie stets abgedunkelt, und nur auf den großen, halbmondförmigen Tisch fiel Licht. Ich trat an den Rand dieses Lichtkegels und wartete höflich ab.
    Als mich der Rektor herbeiwinkte, ging ich zur Tischmitte und gab ihm mein Terminplättchen. Dann trat ich wieder ein paar Schritte zurück und stellte mich zwischen die »Hörner« genannten Flanken des Tischs.
    Die neun Meister sahen zu mir herab. Ich würde gern behaupten, dass sie dramatisch aussahen, wie Raben auf einem Zaun oder so. Doch obwohl sie alle ihr Amtsgewand trugen, sahen sie viel zu unterschiedlich aus, als dass sie eine einheitliche Gruppe abgegeben hätten.
    Hinzu kam, dass ihnen die Müdigkeit anzusehen war. Erst da wurde mir klar, dass nicht nur die Studenten diese Prüfungen fürchteten, sondern dass sie auch für die Meister kein Zuckerschlecken waren.
    »Kvothe, Sohn des Arliden«, sagte der Rektor in formellem Ton. »Re’lar.« Er wies auf die rechte Seite des Tischs. »Meister der Heilkunde?«
    Arwyl sah zu mir hinab, und sein Gesicht mit der runden Brille wirkte großväterlich. »Was sind die medizinischen Eigenschaften von Mhenka?«, fragte er.
    »Es ist ein starkes Anästhetikum«, sagte ich. »Auch einsetzbar als Purgativum.« Ich zögerte. »Es hat sehr viele komplexe Nebenwirkungen. Soll ich sie alle aufzählen?«
    |129| Arwyl schüttelte den Kopf. »Ein Patient kommt in die Mediho. Er klagt über Gelenkschmerzen und Atembeschwerden. Er hat einen trockenen Mund und behauptet, einen süßlichen Geschmack wahrzunehmen. Er klagt über ein Kältegefühl, ist in Wirklichkeit aber schweißgebadet und hat Fieber. Wie lautet deine Diagnose?«
    Ich atmete tief durch und zögerte. »Ich stelle in der Mediho keine Diagnosen, Meister Arwyl. Ich würde in so einem Fall einen Eurer El’the herbeiholen.«
    Er lächelte und bekam dabei viele Fältchen um die Augen. »Das ist korrekt«, sagte er. »Aber rein theoretisch: Was, meinst du, könnte die Ursache sein?«
    »Ist dieser Patient ein Student?«
    Arwyl hob eine Augenbraue. »Was hat das damit zu tun?«
    »Wenn er zuvor im Handwerkszentrum gearbeitet hat, könnte es sich um Schmelzergrippe handeln«, sagte ich. Arwyl sah mich fragend an, und ich fügte hinzu: »Im Handwerkszentrum kann man sich alle möglichen Schwermetallvergiftungen holen. So etwas kommt nur selten vor, denn die Studenten sind ja gut geschult, aber jeder, der mit heißer Bronze arbeitet, kann genug Dämpfe einatmen, um daran zu sterben, wenn er nicht sehr vorsichtig ist.« Ich sah Kilvin nicken und war froh, dass ich nicht eingestehen musste, dass ich das alles nur wusste, weil ich mir selbst einen Monat zuvor eine leichte Form davon eingehandelt hatte.
    Arwyl räusperte sich nachdenklich und wies dann zur anderen Seite des Tisches. »Meister der Arithmetik?«
    Brandeur saß am linken Ende der Tafel. »Vorausgesetzt, ein Geldwechsler nimmt vier Prozent, wie viele Pennys erhält man dann für ein Talent?« Er stellte die Frage, ohne von den vor ihm liegenden Papieren hochzusehen.
    »Welche Art von Pennys, Meister Brandeur?«
    Er hob den Blick und runzelte die Stirn. »Wenn ich mich recht erinnere, sind wir hier immer noch im Commonwealth.«
    Ich rechnete es im Kopf durch und hielt mich dabei an die Zahlen aus den Büchern, die er in der Bibliothek ausgestellt hatte. Es waren nicht die realen Wechselkurse, die man bei einem Geldwechsler tatsächlich bekam, sondern die offiziellen Umrechnungskurse, die Regierungen |130| und Finanziers als gemeinsame Nenner nutzten, auf deren Grundlage sie sich gegenseitig über den Tisch ziehen konnten. »In Eisen-Pennys: Dreihundertfünfzig«, sagte ich. »Nein, dreihunderteinundfünfzig«, verbesserte ich mich. »Und einen halben.«
    Ehe ich auch nur zu Ende gesprochen hatte, sah Brandeur schon wieder auf seine Papiere hinab. »Dein Kompass zeigt bei Gold zweihundertzwanzig Punkte, bei Platin einhundertzwölf und bei Kobalt zweiunddreißig. Wo befindest du dich?«
    Die Frage machte mich sprachlos. Die Lagebestimmung mit einem Trimetallkompass erforderte detaillierte Karten und präzise Triangulation. Sie wurde normalerweise nur von Schiffskapitänen auf hoher See und von Kartographen praktiziert, und die nutzten für

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