Die Furcht des Weisen / Band 1
weiter die Treppe hinauf. »Dann solltest du diesen klugen Ratschlag doch erst recht zu schätzen wissen, nicht wahr?«
»Aber wenn ihr andere Studenten unterrichtet, warum dann nicht mich?«
»Weil du zu übereifrig bist, um die nötige Geduld aufzubringen«, sagte er. »Du bist zu stolz, um richtig zuzuhören. Und du bist viel zu clever. Das ist das größte Problem.«
»Manche Meister mögen clevere Studenten«, murmelte ich, während wir einen breiteren Flur betraten.
»Ja«, sagte Elodin. »Dal, Kilvin und Arwyl mögen clevere Studenten. Studiere bei ihnen. Das würde dein und mein Leben erheblich erleichtern.«
»Aber …«
Elodin blieb abrupt mitten auf dem Flur stehen. »Also gut«, sagte er. »Beweise mir, dass du es wert bist, unterrichtet zu werden. Erschüttere meine Annahmen über dich bis in die Grundfesten.« Er tastete mit dramatischer Geste sein Gewand ab, als suche er nach etwas, |124| das tief in irgendeiner Tasche vergraben war. »Zu meiner großen Bestürzung muss ich feststellen, dass mir die Mittel fehlen, hinter diese Tür zu gelangen.« Er klopfte an. »Was würdest du in einem solchen Falle tun, Re’lar Kvothe?«
Ich lächelte, obwohl ich aufgebracht war. Er hatte eine Aufgabe gewählt, die meinen Begabungen perfekt entsprach. Ich zog ein langes, dünnes Stück Federstahl aus einer Innentasche meines Umhangs, kniete mich vor die Tür und nahm das Schlüsselloch in Augenschein. Das Türschloss war solide Wertarbeit. Doch so einschüchternd große, schwere Schlösser auch aussehen, sind sie doch, wenn sie in gutem Zustand sind, meist einfacher zu knacken als kleine.
Das hier war so eines. Es dauerte nur drei schnelle Atemzüge, dann öffnete es sich mit einem befriedigenden, leisen »
k-tick «
. Ich stand auf, klopfte mir die Knie ab und öffnete mit schwungvoller Geste die Tür.
Elodin wirkte durchaus beeindruckt. Er hob die Augenbrauen, sagte »clever« und trat ein.
Ich folgte ihm auf dem Fuße. Ich hatte nie darüber nachgedacht, wie Elodins Gemächer wohl aussahen, und hätte ich es getan, so wäre ich nicht im Entferntesten auf das gekommen, was ich nun sah.
Die Räume waren riesig und luxuriös, mit hohen Decken und üppigen Teppichen. Die Wände waren mit altem Holz getäfelt, und durch hohe Fenster strömte der Morgensonnenschein herein. Ich sah Ölgemälde und Antiquitäten. Die Einrichtung war auf geradezu bizarre Weise normal.
Elodin ging schnellen Schritts durch den Eingangsbereich und ein geschmackvoll eingerichtetes Wohnzimmer in das Schlafzimmer. Ich sollte eher sagen Schlaf
gemach
. Es war riesig, mit einem bombastisch großen Himmelbett. Elodin riss einen Kleiderschrank auf und nahm etliche dunkle Gewänder heraus, ähnlich dem, das er gerade trug.
»Hier.« Elodin drückte mir so viele dieser Gewänder in die Arme, wie ich nur tragen konnte. Manche waren eher gewöhnlich, aus Baumwolle, andere aber aus edlem Leinen oder Samt. Er warf sich selbst auch noch ein halbes Dutzend davon über den Arm und ging damit zurück ins Wohnzimmer.
Wir gingen an reich beladenen alten Bücherregalen vorüber und |125| an einem riesigen, auf Hochglanz polierten Schreibtisch. Ein Kamin nahm fast eine ganze Wohnzimmerwand ein. Er war so groß, dass man darin ein ganzes Schwein am Spieß hätte braten können. Gegenwärtig glomm dort aber nur ein kleines Feuer gegen die leichte Herbstkälte.
Elodin nahm eine Kristallkaraffe von einem Tisch und stellte sich vor den Kamin. Er warf mir die Gewänder, die er getragen hatte, über die Arme, so dass ich kaum noch über diesen Haufen hinwegsehen konnte.
Dann zog er den Verschluss aus der Karaffe, probierte ein Schlückchen, blickte anerkennend und hielt die Karaffe ans Licht empor.
Ich beschloss, es noch einmal zu versuchen. »Meister Elodin, warum wollt Ihr mich nicht in Namenskunde unterrichten?«
»Das ist die falsche Frage«, erwiderte er und goss den Inhalt der Karaffe ins glimmende Kaminfeuer. Als sich die Flammen begierig über die Flüssigkeit hermachten, nahm er mir seine Gewänderladung wieder ab und verfütterte ein Samtgewand an das Feuer. Es geriet schnell in Brand, und als es loderte, warf er auch die anderen Gewänder in schneller Folge hinterher. Das Ergebnis war ein großer, schwelender Kleiderhaufen, aus dem dichter Rauch in den Schornstein stieg. »Versuch’s noch mal.«
Ich konnte es mir nicht verkneifen, die naheliegendste Frage zu stellen. »Wieso verbrennt Ihr Eure Gewänder?«
»Nein. Das kommt der
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