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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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ihre Berechnungen detaillierte Diagramme. Ich hatte so einen Trimetallkompass bisher nur zweimal mit eigenen Augen gesehen.
    Die Frage stammte entweder aus einem der Bücher, die Brandeur zur Vorbereitung empfohlen hatte, oder sie sollte dazu dienen, mich zu verunsichern. Da Brandeur mit Hemme befreundet war, ging ich von Zweiterem aus.
    Ich schloss die Augen, stellte mir eine Weltkarte vor und riet auf gut Glück. »In Tarbean?«, sagte ich. »Oder vielleicht irgendwo in Yll?« Ich öffnete die Augen wieder. »Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht.«
    Brandeur machte sich eine Notiz. »Meister der Namenskunde«, sagte er, ohne hochzusehen.
    Elodin schenkte mir ein wissendes Grinsen, und mit einem Mal wurde ich von der Furcht gepackt, er könnte meine Beteiligung an dem verraten, was er an diesem Morgen in Hemmes Gemächern angerichtet hatte.
    Doch stattdessen hob er mit dramatischer Geste drei Finger. »Du hast drei Pikkarten auf der Hand«, sagte er. »Und fünf Pikkarten wurden bereits ausgespielt.« Er spreizte die Hand und sah mich mit ernstem Blick an. »Wie viele Pikkarten macht das?«
    »Acht«, sagte ich.
    Die anderen Meister wurden etwas unruhig. Arwyl seufzte. Kilvin ließ die Schultern hängen. Hemme und Brandeur gingen so weit, einander anzusehen und die Augen zu verdrehen. Gemeinsam vermittelten |131| sie den Eindruck einer schon lange anhaltenden Verzweiflung.
    Elodin sah sie finster an. »Was ist?«, fragte er. »Erwartet ihr wirklich, dass ich diesen Unfug ernst nehme? Soll ich ihm etwa Fragen stellen, die nur ein Namenskundler beantworten kann?«
    Die anderen Meister schwiegen, blickten beklommen und sahen ihn nicht an. Einzig Hemme funkelte zu ihm hinüber.
    »Also gut«, sagte Elodin und wandte sich wieder mir zu. Seine Augen blickten dunkel, und seine Stimme hatte einen seltsam vollen Klang. Sie war nicht laut, doch als er sprach, schien sie den ganzen Saal zu füllen. »Wohin geht der Mond«, fragte Elodin grimmig, »wenn er von unserem Himmel verschwindet?«
    Nun schien es im Saal widernatürlich still zu sein, als hätte seine Stimme ein Loch in der Welt hinterlassen.
    Ich wartete ab, ob er noch etwas hinzufügen würde. Dann gestand ich: »Ich habe nicht die leiseste Ahnung.« Nach Elodins Stimme wirkte meine dünn und dürftig.
    Elodin zuckte die Achseln und wies mit freundlicher Geste zur anderen Seite des Tischs. »Meister der Sympathie.«
    Elxa Dal war der Einzige, der sich in seiner Amtstracht wohlzufühlen schien. Wie stets erinnerte er mich mit seinem dunklen Bart und dem hageren Gesicht ein wenig an den typischen bösen Zauberer, der in so vielen schlechten aturischen Theaterstücken vorkommt. Er bedachte mich mit einem leicht mitfühlenden Blick. »Wie ist die Bindung einer linearen galvanischen Anziehung?«, fragte er in beiläufigem Ton.
    Ich rasselte es auswendig herunter.
    Er nickte. »Wie groß ist bei Eisen die Unüberwindbarkeitsdistanz?«
    »Fünfeinhalb Meilen«, sagte ich und gab damit die lehrbuchmäßige Antwort, obwohl ich mich in diesem Zusammenhang am Begriff der Unüberwindbarkeit störte. Es traf zwar zu, dass es statistisch gesehen unmöglich war, eine bedeutende Energiemenge weiter als sechs Meilen zu übertragen, aber man konnte die Sympathie dazu nutzen, noch weit größere Entfernungen zu überbrücken.
    »Wenn eine Unze Wasser zum Kochen gebracht wird, wie viel |132| Hitze ist dann erforderlich, um das Wasser vollständig verkochen zu lassen?«
    Ich kramte im Geiste zusammen, woran ich mich aus den Verdampfungstabellen, mit denen ich im Handwerkszentrum gearbeitet hatte, noch erinnerte. »Hundertachtzig Thaum«, sagte ich mit größerer Gewissheit, als ich in Wirklichkeit verspürte.
    »Dankeschön«, sagte Dal. »Meister der Alchemie?«
    Mandrag winkte mit seiner fleckigen Hand ab. »Ich passe.«
    »Ihr könntet auch eine Kartenspielfrage stellen. Das beherrscht er«, schlug Elodin vor.
    Mandrag warf ihm einen missbilligenden Blick zu. »Meister der Bibliothek?«
    Lorren starrte zu mir herab, und sein langes Gesicht wirkte ungeduldig. »Wie lauten die Hausregeln der Bibliothek?«
    Ich wurde rot und sah zu Boden. »Bewege dich leise«, sagte ich. »Behandle die Bücher mit Respekt. Gehorche den Bibliothekaren. Kein Wasser. Keine Nahrungsmittel.« Ich schluckte. »Kein offenes Feuer.«
    Lorren nickte. Nichts an seinem Ton oder Gebaren deutete auf Missbilligung hin, aber das machte es irgendwie nur noch schlimmer. Er ließ den Blick über den Tisch schweifen.

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