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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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einziges Durcheinander, aber wenn du dich auf die Bücher beschränkst, die in Tolems Katalog aufgenommen wurden, müsstest du eigentlich alles finden können, was du suchst. Tolem ist das System, das wir gegenwärtig nutzen. Wil und ich werden dir zeigen, wo die betreffenden Verzeichnisse verwahrt werden.«
    »Und auch noch einige andere Dinge«, sagte Wil. »Tolem ist alles andere als umfassend. Nach einigen deiner Bücher werden wir wahrscheinlich tiefer graben müssen.« Er wandte sich um und öffnete die Tür.

    |181| Wie sich herausstellte, waren nur vier Bücher von meiner Liste in Tolems Katalog verzeichnet. Anschließend waren wir gezwungen, den gut organisierten Teil des Magazins hinter uns zu lassen. Wil schien meine Liste als persönliche Herausforderung aufzufassen, und so lernte ich an diesem Tag viel über den Aufbau der Bibliothek. Er führte mich zum »toten Verzeichnis«, der »Rückwärtstreppe« und dem »Tiefenflügel«.
    Dennoch hatten wir vier Stunden später lediglich den Standort von sieben Büchern ermittelt. Wil schien sehr betrübt darüber, ich aber dankte ihm von Herzen und sagte, dass er mir alles an die Hand gegeben habe, damit ich die Suche nun auf eigene Faust fortsetzen konnte.
    In den nächsten Tagen verbrachte ich so gut wie jede freie Minute in der Bibliothek und fahndete nach den Büchern auf Elodins Liste. Ich wollte zu Beginn dieses Seminars unbedingt mein Bestes geben und war wild entschlossen, jedes einzelne dieser Bücher zu lesen.
    Das erste war ein Reisebericht, den ich ganz unterhaltsam fand. Das zweite war ein miserabler Gedichtband, aber er war kurz, und ich kämpfte mich hindurch, indem ich die Zähne zusammenbiss und hin und wieder ein Auge schloss, um mein Hirn dem nicht zur Gänze auszusetzen. Das dritte war ein sehr schwerfällig und schwülstig geschriebenes philosophisches Werk.
    Dann kam ein Buch über die Wildblumen von Nord-Atur. Dann ein Handbuch der Fechtkunst mit einigen recht verwirrenden Illustrationen. Dann ein weiterer Gedichtband, nur diesmal dick wie ein Ziegelstein und sogar noch mieser als der erste.
    Es dauerte Stunden um Stunden, aber ich las alles von vorne bis hinten durch. Ich ging sogar so weit, mir auf zweien meiner kostbaren Papierbögen Notizen zu machen.
    Als Nächstes kam, so weit ich das beurteilen konnte, das Tagebuch eines Wahnsinnigen. Das klingt jetzt vielleicht interessant, war in Wirklichkeit aber ein einziger Kopfschmerz zwischen zwei Buchdeckeln. Der Mann hatte es in einer sehr gedrängten Handschrift abgefasst und kaum Lücken zwischen den einzelnen Wörtern gelassen. Es gab weder Absätze noch Interpunktion, und von einer irgendwie |182| konsistenten Grammatik und Rechtschreibung konnte auch keine Rede sein.
    An diesem Punkt begann ich, die Texte nur noch zu überfliegen. Und als ich am nächsten Tag mit zwei Übersetzungen aus dem Modeganischen konfrontiert war – eine Aufsatzsammlung zum Thema landwirtschaftliche Fruchtfolge und eine Monographie über vintische Mosaiken –, hörte ich auf, mir Notizen zu machen.
    Die letzte Handvoll Bücher blätterte ich nur noch durch und fragte mich, weshalb Elodin wollte, dass wir ein zweihundert Jahre altes Steuerverzeichnis aus einer Baronie in einem der Kleinen Königreiche lasen, oder ein vollkommen veraltetes medizinisches Werk oder ein schlecht übersetztes allegorisches Schauspiel.
    Während mir das Interesse an diesen Texten zusehends abhanden kam, ging ich aber weiterhin mit Begeisterung auf die Jagd nach ihnen. Zahlreichen Bibliothekaren trampelte ich mit meinen ewigen Fragen auf den Nerven herum: Wer war wo für das Zurückstellen der Bücher zuständig? Wo wurden die vintischen Dikta verwahrt? Wer hatte den Schlüssel für das Schriftrollenarchiv im vierten Untergeschoss? Wo lagerten die beschädigten Bücher, während sie auf ihre Restaurierung warteten?
    Letzten Endes fand ich neunzehn der zwanzig Bücher – alle bis auf
En Temerant Voistra
. Und das lag nicht daran, dass ich mir keine Mühe gegeben hätte. Meiner Schätzung nach hatte das ganze Unterfangen des Suchens und Lesens fast fünfzig Stunden verschlungen.
    Zum nächsten Termin von Elodins Seminar kam ich zehn Minuten zu früh, stolz wie ein Priester. Ich hatte meine beiden Papierbögen voller sorgfältiger Notizen dabei und war entschlossen, Elodin mit meiner Hingabe und Gründlichkeit zu beeindrucken.
    Alle sieben Studenten waren da, bevor es zur zwölften Stunde schlug. Die Tür zum Hörsaal war verschlossen,

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