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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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sonderbares Werk: Aufgebaut wie ein Bestiarium, aber geschrieben wie eine Kinder-Fibel. Es enthielt Abbildungen von Märchengestalten wie Ogern und Dennerlingen. Die einzelnen Kapitel bestanden aus einem Bild, das von einem kurzen, geistlosen Gedicht begleitet wurde.
    Das Kapitel über die Chandrian war natürlich das einzige, das keine Abbildung enthielt. Stattdessen gab es da eine leere Seite mit einem Zierrahmen drumherum. Das begleitende Gedicht erwies sich als vollkommen nutzlos:
     
    |188|
Die Chandrian ziehen von Ort zu Ort,
    Doch es bleibt keine Spur, sind sie fort.
    Sie halten mit ihren Geheimnissen dicht,
    Doch sie kratzen nicht und sie beißen nicht.
    Fern liegt ihnen Streiten, fern liegt ihnen Wut,
    Sie meinen es eigentlich mit uns ganz gut.
    Sie kommen und gehen, ehe man guckt,
    Wie der Blitz, der grell vom Himmel zuckt.
     
    So ärgerlich es auch war, so etwas zu lesen, machte es mir eins doch vollkommen klar: Für den Rest der Welt waren die Chandrian weiter nichts als Märchengestalten, nicht realer als Butzemänner oder Einhörner.
    Ich wusste es natürlich besser. Ich hatte sie mit eigenen Augen gesehen. Ich hatte mit dem schwarzäugigen Cinder gesprochen. Ich hatte Haliax erblickt, der einen Schatten um sich trug, als wäre es ein Mantel.
    Und daher setzte ich meine Suche fort. Was der Rest der Welt glaubte, war mir egal. Ich wusste, wie es wirklich war, und schnell aufzugeben war nicht meine Art.

    Das neue Trimester hatte seinen Rhythmus bald gefunden. Wie zuvor besuchte ich Seminare und trat im ANKER’S als Musiker auf. Die meiste Zeit verbrachte ich jedoch in der Bibliothek. Ich hatte mich so lange nach diesem Ort gesehnt, dass es mir nun geradezu unwirklich vorkam, dass ich einfach so durch den Haupteingang hineinspazieren konnte.
    Selbst mein fortwährendes Scheitern bei der Suche nach Fakten über die Chandrian konnte mir dieses Vergnügen nicht vergällen. Auf dieser Jagd wurde ich zusehends von anderen Büchern, die ich entdeckte, abgelenkt. Ein handgeschriebenes medizinisches Kräuterbuch mit Aquarellbildern zahlreicher Pflanzen. Ein kleiner Quartband, der vier Theaterstücke enthielt, von denen ich noch nie gehört hatte. Eine mich faszinierende Biographie von Hevred dem Wachsamen.
    |189| Ganze Nachmittage verbrachte ich in den kleinen Lesezimmern, verpasste oft die Mahlzeiten und vernachlässigte meine Freunde. Oft war ich der letzte Student, der die Bibliothek verließ, wenn sie zur Nacht abgeschlossen wurde. Ich hätte dort auch übernachtet, wenn das gestattet gewesen wäre.
    An manchen Tagen, wenn mir mein Stundenplan keine Zeit für längere Lektüren ließ, schlenderte ich zwischen zwei Seminaren einfach nur für ein paar Minuten durch das Bibliotheksmagazin.
    Ich war so vernarrt in meine neuen Freiheiten, dass ich viele Tage lang nicht mehr dazu kam, nach Imre zu gehen. Und als ich das nächste Mal zum GRAUEN MANN aufbrach, hatte ich eine Visitenkarte dabei, die ich aus einem Stück Pergament gefertigt hatte. Ich dachte, das würde Denna amüsieren.
    Doch als ich dort eintrat, sagte mir der so überaus diensteifrige Portier, dass er meine Karte nicht überbringen könne. Die junge Dame weile nicht mehr im Hause. Nein, er könne keine Nachricht für sie entgegennehmen. Nein, er wisse nicht, wohin sie abgereist sei.

|190| Kapitel 15
Interessante Tatsachen
    E lodin kam fast eine Stunde zu spät in den Hörsaal geschlendert. Seine Kleidung war mit grünen Grasflecken übersät, und in seinem Haar hingen trockene Blätter. Er grinste.
    An diesem Tag warteten wir nur noch zu sechst auf ihn. Jarret war zu den letzten beiden Terminen nicht mehr erschienen, und angesichts der beißenden Bemerkungen, die er zuvor losgelassen hatte, glaubte ich nicht, dass er wiederkommen würde.
    »Also!«, rief Elodin ohne jede Einleitung. »Erzählt mir was!«
    Das war seine neuste Methode, unsere Zeit zu vergeuden. Zu Beginn jeder Vorlesung verlangte er etwas Interessantes zu hören. Natürlich entschied allein Elodin, was interessant war und was nicht, und wenn das erste, was man ihm lieferte, seinen Anforderungen nicht entsprach, oder wenn es nichts Neues mehr für ihn war, verlangte er, etwas anderes zu hören, und dann immer so weiter, bis einer von uns schließlich etwas vortrug, das ihn amüsierte.
    Er zeigte auf Brean. »Los!«
    »Spinnen können unter Wasser atmen«, sagte sie.
    Elodin nickte. »Gut.« Er sah Fenton an.
    »Südlich von Vintas gibt es einen Fluss, der falsch herum fließt«,

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