Die Furcht des Weisen / Band 1
rein.«
Ich zog die große Steintür auf, und wir gelangten in den kleinen Vorraum, und dann öffnete Wil die innere Tür, und wir betraten den Eingangssaal. In der Mitte des Raums stand ein großes, hölzernes Pult, auf dem einige in Leder gebundene Folianten lagen. Dahinter führten mehrere imposant aussehende Türen in die unterschiedlichen Abteilungen.
Hinter dem Pult saß Fela, ihr lockiges Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Das rote Licht der Sympathielampen ließ sie anders aussehen, aber nicht weniger hübsch. Sie lächelte.
»Hallo, Fela«, sagte ich und gab mir große Mühe, mir meine Nervosität nicht anmerken zu lassen. »Lorren hat mein Hausverbot aufgehoben. Könntest du bitte mal nachsehen, ob ich schon wieder in dem entsprechenden Verzeichnis stehe?«
Sie nickte freundlich und blätterte in dem vor ihr liegenden Buch. Ihr Gesicht hellte sich auf und verfinsterte sich gleich wieder.
Ich bekam ein flaues Gefühl im Magen. »Was ist denn?«, fragte ich. »Stimmt was nicht?«
»Nein«, sagte sie. »Alles in Ordnung.«
»Du siehst aber nicht so aus«, brummte Wil. »Was steht denn da?«
Fela zögerte kurz und drehte dann das Buch um, so dass ich es lesen konnte:
Kvothe, Sohn des Arliden. Rothaarig. Hellhäutig. Jung
. Auf dem Rand daneben war in einer anderen Handschrift vermerkt:
Ruh-Bastard
.
Ich grinste sie an. »Stimmt doch alles. Darf ich jetzt hinein?«
Sie nickte. »Braucht ihr Lampen?«, fragte sie und öffnete eine Schublade.
»Ja, ich«, sagte Wil, der sich bereits in ein anderes Verzeichnis einschrieb.
»Nein, danke, ich hab selbst eine dabei«, erwiderte ich und |177| zog meine kleine Sympathielampe aus einer Tasche meines Umhangs.
Fela schlug das Anwesenheitsbuch auf und trug uns beide ein. Als ich unterschrieb, zitterte mir die Hand, und ich hinterließ einen Tintenklecks.
Fela beseitigte das Malheur flugs mit Löschpapier und schlug das Buch wieder zu. »Willkommen zurück in der Bibliothek«, sagte sie und lächelte.
Dann ließ ich mich von Wilem durch das Magazin führen und gab mir alle Mühe, beeindruckt zu wirken.
Dazu musste ich mich nicht groß verstellen. Ich hatte zwar seit einiger Zeit Zugang zum Bibliotheksmagazin gehabt, war aber gezwungen gewesen, dort wie ein Dieb umherzuschleichen. Ich hatte meine Lampe stets auf die geringste Leuchtkraft eingestellt und einen großen Bogen um die Hauptkorridore gemacht, aus Furcht, dort versehentlich jemandem in die Arme zu laufen.
Die Wände waren hier vollständig mit Bücherregalen bedeckt. Einige Korridore waren breit und hoch, andere so schmal, dass zwei Leute darin nur aneinander vorbeikamen, wenn sie sich seitwärts drehten. In der Luft lag der Geruch von Leder und Staub, von altem Pergament und Buchbinderleim. Es roch nach Geheimnissen.
Wilem führte mich durch ein Regallabyrinth, eine Treppe hinauf und einen langen, breiten Korridor entlang, der von Büchern gesäumt war, die alle in das gleiche rote Leder gebunden waren. Schließlich gelangten wir zu einer Tür, durch deren Ritzen ein rötlicher Lichtschein drang.
»Es gibt hier etliche Kammern, in denen man in Ruhe studieren kann«, sagte Wilem leise. »Kleine Lesezimmer. Sim und ich nutzen meist dieses hier. Das ist ein Geheimtipp.« Er klopfte an und öffnete die Tür. Dahinter befand sich eine fensterlose Kammer, gerade groß genug für den Tisch und die paar Stühle, die darin standen.
An diesem Tisch saß Sim, und das rötliche Licht seiner Sympathielampe |178| verlieh seinem Gesicht eine gesunde Farbe. Als er mich sah, bekam er große Augen. »Kvothe? Was machst du denn hier?« Entsetzt wandte er sich an Wilem. »Was macht er hier?«
»Lorren hat sein Hausverbot aufgehoben«, sagte Wil. »Und unser junger Freund hat eine Leseliste bekommen. Er begibt sich jetzt auf seine erste Bücherjagd.«
»Glückwunsch!«, sagte Sim und strahlte mich an. »Kann ich irgendwie behilflich sein? Mir fallen hier nämlich schon die Augen zu.« Er streckte mir eine Hand entgegen.
Ich tippte mir an die Schläfe. »Wenn ich mir keine zwanzig Buchtitel mehr merken könnte, hätte ich im Arkanum ja wohl nichts mehr verloren«, sagte ich. Doch das war nur die halbe Wahrheit. Die ganze Wahrheit war, dass ich nur sechs Blatt Papier besaß und es mir nicht leisten konnte, auch nur einen dieser kostbaren Bögen für so etwas zu vergeuden.
Sim zog einen zusammengefalteten Zettel und einen Bleistiftstummel aus der Tasche. »Ich muss mir alles immer aufschreiben«, sagte er.
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