Die Furcht des Weisen / Band 1
sagte ich. »Dann muss es wohl ziemlich ernst sein.«
Denna sah mich fragend an und lachte dann. Sie schüttelte den Kopf und winkte energisch ab. »Oh nein. Oh Gott, nein. So ist es nicht. Er hat mich nur ein paar Mal besucht. Wir sind ins Theater gegangen. Und zum Tanz. Er ist bemerkenswert leichtfüßig.«
Sie atmete tief ein und mit einem Seufzer wieder aus. »Am ersten Abend hat er sich ausgesprochen vornehm verhalten. Er war sogar geistreich. Am zweiten Abend schon ein bisschen weniger.« Sie kniff die Augen zusammen. »Und am dritten Abend wurde er dann zudringlich. Anschließend ging’s bergab. Ich musste aus meinem Zimmer im KEILER ausziehen, weil er ständig mit irgendwelchen Schmuckstücken oder Gedichten ankam.«
|229| Ich verspürte eine immense Erleichterung. Zum ersten Mal seit Tagen hatte ich das Gefühl, wieder tief durchatmen zu können. Ich spürte, dass sich ein Lächeln auf meinem Gesicht breitzumachen drohte, und kämpfte dagegen an, weil ich fürchtete, dass es so breit sein würde, dass ich damit wie ein Wahnsinniger aussehen würde.
Denna sah mich mit gequälter Miene an. »Du würdest dich wundern, wie ähnlich Arroganz und Selbstvertrauen auf den ersten Blick sind. Und er war großzügig und reich, und das ist doch eine angenehme Kombination.« Sie hob die unberingte Hand. »Die Steinfassung war lose, und er hat gesagt, er lässt das reparieren.«
»Dann war er also vermutlich nicht mehr so großzügig, nachdem es mit euch bergab gegangen war?«
Ihr roter Mund verzog sich wieder zu einem gequälten Lächeln. »Längst nicht mehr so.«
»Ich könnte da vielleicht etwas unternehmen«, sagte ich. »Falls dir der Ring wichtig ist.«
»Er ist mir wichtig«, sagte Denna. »Aber was willst du denn da tun? Ihn von Gentleman zu Gentleman daran erinnern, dass er eine Dame mit Respekt zu behandeln hat?« Sie verdrehte die Augen. »Na viel Glück.«
Zur Antwort schenkte ich ihr einfach nur mein allerreizendstes Lächeln. Ich hatte ihr bereits gesagt, wie es sich in Wirklichkeit verhielt: Ich war kein Gentleman. Ich war ein Dieb.
|230| Kapitel 20
Der schalkhafte Wind
A m nächsten Abend fand ich mich im GOLDENEN PONY wieder, dem wohl besten Gasthaus auf der Universitätsseite des Flusses. Es hatte eine ausgezeichnete Küche, erstklassige Stallungen und ebenso fähiges wie dienstbeflissenes Personal. Es war ein Edel-Etablissement, das sich nur die wohlhabendsten Studenten leisten konnten.
Ich befand mich natürlich nicht im Hause. Nein, ich hockte knapp unterm First im dunklen Schatten seines Dachs und gab mir alle Mühe, nicht daran zu denken, dass das, was ich vorhatte, weit über ungebührliches Verhalten hinausging. Wenn man mich dabei erwischte, wie ich in Ambroses Gemächer einbrach, würde man mich zweifellos von der Uni verweisen.
Es war ein klarer Herbstabend, aber trotzdem sehr windig. Das hatte Vor- und Nachteile. Das Rascheln des Laubs würde etwelche leiseren Geräusche, die ich machte, übertönen, ich fürchtete aber, das Flattern meines Umhangs könnte Aufmerksamkeit erregen.
Unser Plan war ganz einfach. Ich hatte einen versiegelten Brief unter Ambroses Zimmertür hindurchgeschoben. Es war eine nicht unterschriebene, kokett klingende Einladung zu einem Treffen in Imre. Sie stammte von Wil, da Sim und ich fanden, dass er die femininste Handschrift von uns hatte.
Es war ein Versuch auf gut Glück, aber ich ging davon aus, dass Ambrose den Köder schlucken würde. Lieber hätte ich jemanden gehabt, der ihn persönlich abgelenkt hätte, aber je weniger Leute an dieser Sache beteiligt waren, desto besser. Ich hätte Denna um Unterstützung |231| bitten können, aber ich wollte sie damit überraschen, wenn ich ihr den Ring wiederbrachte.
Wil und Sim standen für mich Schmiere, Wil im großen Gastraum und Sim auf der Gasse, in der sich der Hintereingang des Hauses befand. Sie sollten mir signalisieren, sobald Ambrose das Gebäude verließ. Vor allem aber sollten sie mich warnen, falls er vorzeitig wiederkam.
Ich spürte ein Zucken in meiner rechten Hosentasche, als sich das Eichenzweigstück darin zweimal bewegte. Das Signal wurde wiederholt. Wilem ließ mich damit wissen, dass Ambrose das Gasthaus verlassen hatte.
In der linken Hosentasche hatte ich ein Stück Birkenholz. Simmon hielt auf seinem Posten am Hintereingang ein ganz ähnliches in der Hand. Es war ein einfaches und wirksames Verfahren der Nachrichtenübermittlung. Man musste nur genug von Sympathie verstehen, um es
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