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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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entlanglief. In dem schummrigen Licht konnte ich die Sygaldrie nicht entziffern, aber ich erkenne ein Wehr, wenn ich eins sehe. Deshalb also war Ambrose so bald zurückgekehrt. Er wusste, dass bei ihm eingebrochen worden war. Und was noch schlimmer war: Ein gutes Wehr hielt nicht nur mögliche Eindringlinge fern, sondern konnte Fenster und Türen auch so fest verschließen, dass der Einbrecher dahinter eingesperrt blieb.
    Ich rannte zur Tür und suchte hektisch in meinen Umhangtaschen nach etwas, womit ich das Türschloss außer Betrieb setzen konnte. Da ich nichts Passendes fand, schnappte ich mir einen Stift vom Schreibtisch, rammte ihn ins Schlüsselloch, riss ihn herum und brach damit innerhalb des Schließmechanismus’ die Metallspitze ab. Nur wenige Augenblicke später hörte ich von draußen ein schabendes, metallisches Geräusch, als Ambrose versuchte, die Tür aufzuschließen. Er fluchte, als er den Schlüssel nicht ins Schloss bekam.
    |236| Da war ich schon wieder zurück am Fenster, leuchtete mit meiner Lampe an dem Messingstreifen entlang und murmelte Runen vor mich hin. Es war eigentlich ganz einfach. Ich konnte das Wehr ausschalten, indem ich einige Runen herauskratzte. Dann konnte ich das Fenster öffnen und entfliehen.
    Ich flitzte zurück ins Wohnzimmer und nahm mir den auf dem Schreibtisch liegenden Brieföffner, wobei ich in meiner Hast das verschlossene Tintenfass umstieß. Ich wollte eben beginnen, einzelne Runen zu tilgen, als mir klar wurde, wie dumm das wäre. Jeder miese kleine Dieb konnte in Ambroses Gemächer einbrechen, doch der Kreis der Personen, die genug von Sygaldrie verstanden, um ein solches Wehr außer Gefecht zu setzen, war schon erheblich kleiner. Ebenso gut hätte ich auf dem Fensterrahmen meine Unterschrift hinterlassen können.
    Ich hielt einen Moment lang inne, um meine Gedanken zu ordnen. Dann legte ich den Brieföffner auf den Schreibtisch zurück und stellte das Tintenfass wieder hin. Ich ging zum Fenster und sah mir den Messingstreifen noch einmal genauer an. Etwas zu zerstören ist meist viel einfacher, als es zu verstehen.
    Das gilt erst recht, wenn dabei im Hintergrund gedämpfte Flüche durch eine Tür dringen und jemand lärmend versucht, ein blockiertes Türschloss zu öffnen.
    Dann war es mit einem Mal still draußen auf dem Korridor, und das war eine geradezu zermürbende Stille. Als es mir schließlich gelungen war, die Abfolge der einzelnen Binnenwehre zu entschlüsseln, hörte ich, wie draußen auf dem Flur mehrere Personen näherkamen. Ich spaltete meinen Geist in drei Teile auf, konzentrierte meinen Alar und stemmte mich gegen das Fenster. Meine Hände und Füße wurden kalt, als ich meine Körperwärme dazu nutzte, gegen die Wirkung des Wehrs anzukämpfen. Als etwas Schweres mit dumpfem Schlag gegen die Tür prallte, gab ich mir alle Mühe, nicht in Panik zu geraten.
    Das Fenster flog auf, und ich schob mich rückwärts durch den Rahmen und aufs Dach hinaus, als erneut etwas Schweres an die Tür knallte und ich Holz splittern hörte. Ich hätte immer noch problemlos entkommen können, doch als ich den rechten Fuß auf dem Dach |237| absetzte, spürte ich eine Ziegel unter meinem Gewicht zerbrechen. Mein Fuß rutschte weg, und ich musste mich mit beiden Händen am Fensterbrett festhalten.
    Dann kam wieder ein plötzlicher Windstoß, erfasste das offen stehende Fenster und wirbelte es auf meinen Kopf zu. Ich riss einen Arm hoch, um mein Gesicht zu schützen, das Fenster knallte mir an den Ellenbogen, und eine der kleinen Glasscheiben zersprang. Die Wucht dieses Aufpralls stieß mich seitwärts, so dass ich mein Gewicht auf meinen rechten Fuß verlagern musste, der dabei endgültig unter mir wegrutschte.
    Instinktiv griffen meine Hände nach allem, was sich bot. Dabei riss ich einige weitere Ziegeln los und bekam schließlich die Dachkante in den Griff. Es war kein sonderlich sicherer Griff, er bremste mich aber, und ich drehte mich, damit ich unten nicht auf dem Kopf oder dem Rücken landete. Stattdessen fiel ich bäuchlings, wie eine Katze.
    Bloß dass die Gliedmaßen einer Katze gleich lang sind. Ich aber landete auf Händen und Knien. Und während mir die Hände nur brannten, durchfuhren mich, als ich mit den Knien auf dem Kopfsteinpflaster aufkam, die schlimmsten Schmerzen, die ich je im Leben gespürt hatte. Es war fürchterlich, und ich hörte mich aufjaulen wie einen getretenen Hund.
    Sofort hagelten Ziegelsplitter auf mich herab. Die meisten landeten

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