Die Furcht des Weisen / Band 1
auf dem Pflaster, aber einer traf mich am Hinterkopf und ein weiterer am Ellenbogen, und ich konnte meinen Unterarm nicht mehr spüren.
Ich hielt keinen Moment inne, um darüber nachzudenken. Ein gebrochener Arm würde wieder heilen, ein Ausschluss aus der Universität aber galt lebenslang. Ich zog mir die Kapuze über den Kopf und kämpfte mich wieder auf die Beine. Dann strauchelte ich ein paar Schritte weiter, bis ich mich unter dem Dachvorsprung des GOLDENEN PONY befand und von dem Fenster im Obergeschoss aus nicht mehr zu sehen war.
Dann lief ich und lief und lief …
|238| Schließlich stieg ich unter Schmerzen wieder auf die Dächer hinauf und durchs Fenster in meine Kammer. Es war ein sehr mühseliger Heimweg, und ich kam nur langsam voran, aber mir blieb keine andere Wahl. Da ich humpelte und aussah, als wäre ich von einem Dach gefallen, hätte ich mich im Schankraum des ANKER’S nicht blicken lassen können.
Nachdem ich mich ein wenig verschnauft und für mein Vollidiotentum ausführlich beschimpft hatte, machte ich mich an eine Bestandsaufnahme meiner Verletzungen. Die gute Nachricht war, dass ich mir nichts gebrochen hatte. Ich hatte mir aber beide Knie schwer geprellt, und darunter bildeten sich schon prachtvolle Blutergüsse. Der Ziegelbrocken, der mich am Kopf getroffen hatte, hatte eine Beule hinterlassen, aber keine offene Wunde. Und obwohl mein Ellenbogen immer noch vor Schmerzen pochte, hatte ich doch wieder Gefühl in der Hand.
Es klopfte an der Tür. Ich erstarrte. Dann zog ich das Birkenholzstück aus der Tasche, murmelte eine schnelle Bindung und fuchtelte energisch damit hin und her.
Vom Flur her hörte ich Laute des Erstaunens, gefolgt von Wilems Gelächter. »Das ist nicht witzig«, hörte ich Sim sagen. »Mach auf!«
Ich ließ sie herein. Simmon ließ sich auf der Bettkante nieder, und Wilem setzte sich auf meinen Schreibtischstuhl. Ich schloss die Tür wieder und nahm auf der anderen Seite des Bettes Platz. Obwohl wir nun alle saßen, wirkte der kleine Raum überfüllt.
Wir sahen einander einen Moment lang an, und dann ergriff Simmon das Wort. »Ambrose hat heute Abend offenbar mitbekommen, dass in seine Gemächer eingebrochen wurde. Der Einbrecher sprang allerdings lieber aus dem Fenster, als sich festnehmen zu lassen.«
Ich lachte bitter auf. »Von wegen. Ich war schon fast raus, aber da ist das Fenster vom Wind zugeknallt.« Ich demonstrierte es mit unbeholfenen Gesten. »Und deshalb bin ich vom Dach gefallen.«
Wilem seufzte erleichtert. »Und ich dachte schon, ich hätte die Bindung verpfuscht.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich hab die Warnung bekommen. Ich war bloß nicht so vorsichtig, wie ich hätte sein sollen.«
|239| »Wieso ist er denn so früh wiedergekommen?«, fragte Simmon und sah Wilem an. »Hast du irgendwas mitgekriegt, als er reingekommen ist?«
»Ihm ist wahrscheinlich klar geworden, dass meine Handschrift doch nicht so feminin ist«, sagte Wilem.
»Er hatte Wehre an den Fenstern«, sagte ich. »Und die waren wahrscheinlich mit irgendeinem Gegenstand verbunden, den er bei sich trug. Das muss ihn alarmiert haben, sobald ich sein Fenster geöffnet hatte.«
»Hast du den Ring?«, fragte Wilem.
Ich schüttelte den Kopf.
Simmon reckte den Hals, um meinen Arm besser sehen zu können. Ich folgte seinem Blick, sah aber nichts. Als ich aber an meinem Hemd zupfte, stellte ich fest, dass es mir hinten am Arm klebte. Bei all meinen anderen Schmerzen hatte ich das gar nicht bemerkt.
Vorsichtig zog ich mir das Hemd über den Kopf. Am Ellenbogen war es zerrissen und blutgetränkt. Ich fluchte. Auch das noch. Ich besaß nur vier Hemden, und jetzt war dieses hier hinüber.
Ich versuchte mir meine Verletzung anzusehen, doch mir wurde schnell klar, dass man, wie sehr man sich auch verrenken mag, keinen guten Blick auf seinen eigenen Ellenbogen bekommen kann. Schließlich hielt ich ihn Sim zur Begutachtung hin.
»Es ist nicht allzu schlimm«, sagte er. »Nur eine Schnittwunde, die kaum noch blutet. Und rundherum hast du dir die Haut aufgeschürft.«
»Ziegel sind vom Dach auf mich draufgefallen«, sagte ich.
»Du hast echt Glück gehabt«, sagte Wilem. »Wer fällt schon vom Dach und holt sich dabei nur ein paar Kratzer?«
»Ich hab große Blutergüsse an den Knien«, sagte ich. »Ich kann von Glück sagen, wenn ich morgen überhaupt wieder gehen kann.« Im Grunde wusste ich aber, dass er recht hatte. Der Ziegelbrocken, der mir auf den Ellenbogen geknallt war,
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