Die Furcht des Weisen / Band 1
völlig aus dem Ruder gelaufen ist, oder?«
|243| Kapitel 21
Akkordarbeit
D ie Schmerzen in meinen Knien ließen mich die ganze Nacht nicht richtig schlafen, und als sich hinter meinem Fenster die erste Morgenröte zeigte, gab ich es auf, zog mich an und ging langsam und mit zusammengebissenen Zähnen an den Stadtrand, um Weidenrinde zu suchen, die ich kauen konnte. Unterwegs entdeckte ich an mir etliche weitere, hochinteressante Prellungen, die ich am Vorabend gar nicht bemerkt hatte.
Dieser Gang war die reine Qual, aber ich war froh, dass ich ihn zu so früher Stunde angetreten hatte, da die Straßen noch menschenleer waren. Über den Vorfall im GOLDENEN PONY würde es sicherlich viel Gerede geben, und wenn mich jemand humpeln gesehen hätte, hätte der viel zu leicht die richtigen Schlussfolgerungen ziehen können.
Das Gehen löste glücklicherweise die Steifheit in meinen Beinen, und die Weidenrinde dämmte die Schmerzen ein wenig. Als dann die Sonne aufgegangen war, fühlte ich mich wieder gut genug, um mich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Ich ging ins Handwerkszentrum, um vor meinem Sympathie-Seminar noch ein paar Stunden Akkordarbeit einzulegen. Ich musste dringend Geld verdienen – für die Studiengebühren des nächsten Trimesters, und um mein Darlehen bei Devi abzahlen zu können, von Verbandmaterial und einem neuen Hemd ganz zu schweigen.
|244| Als ich ins Lager des Handwerkszentrums kam, war Jaxim nicht da, aber den gerade Dienst habenden Studenten kannte ich auch. Wir waren im gleichen Trimester an die Universität gekommen und in einem Schlafsaal im Mews eine Zeit lang Bettnachbarn gewesen. Ich mochte ihn. Er zählte nicht zu den Adligen, die sich unbekümmert durchs Studium treiben ließen, getragen vom Namen und Vermögen ihrer Familie. Seine Eltern waren Wollhändler, und er musste arbeiten, um sich die Studiengebühren leisten zu können.
»Basil«, sagte ich. »Ich dachte, du wärst letztes Trimester zum E’lir befördert worden. Was machst du denn hier im Lager?«
Er errötete ein wenig und blickte verlegen. »Kilvin hat mich dabei erwischt, wie ich einer Säure Wasser zugesetzt habe.«
Ich schüttelte den Kopf und bedachte ihn mit einem strengen Blick. »Das ist ein eklatanter Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften, E’lir Basil«, sagte ich und senkte meine Stimme um eine Oktave. »Ein guter Handwerker muss in all diesen Dingen größte Sorgfalt walten lassen.«
Basil grinste. »Den Akzent hast du ja gut drauf.« Er schlug sein großes Buch auf. »Was kann ich für dich tun?«
»Ach, ich hab im Moment gar keine Lust, mit was Komplizierterem als schlichter Akkordarbeit zu beginnen«, sagte ich. »Wie wär’s mit –«
»Warte mal«, unterbrach mich Basil und sah mit gerunzelter Stirn in sein Buch.
»Was ist?«
Er drehte es zu mir um und zeigte auf etwas. »Neben deinem Namen steht ein Vermerk.«
Ich sah es mir an. In Kilvins seltsam kindlicher Handschrift stand dort: »Re’lar Kvothe erhält weder Material noch Werkzeug. Schickt ihn zu mir. Klvn.«
Basil sah mich mitfühlend an. »Man setzt Säure zu Wasser zu, nicht umgekehrt«, sagte er im Scherz. »Hast du das etwa auch vergessen?«
»Schön wär’s«, erwiderte ich. »Dann wüsste ich wenigstens, was er von mir will.«
Basil blickte sich um, beugte sich zu mir vor und sagte leise: »Hör mal, ich hab das Mädchen wieder gesehen.«
|245| Ich sah ihn verständnislos an. »Wie bitte?«
»Das Mädchen, das hier war und nach dir gefragt hat«, half er mir auf die Sprünge. »Die den rothaarigen Magier sprechen wollte, der ihr angeblich einen Zauber angedreht hatte.«
Ich schloss die Augen und rieb mir das Gesicht. »Die war wieder da? Das ist wirklich das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann.«
Basil schüttelte den Kopf. »Nein, sie ist nicht reingekommen«, sagte er. »Jedenfalls nicht dass ich wüsste. Aber ich hab sie ein paar Mal draußen auf dem Hof gesehen.« Er wies mit einer Kopfbewegung zum Südausgang des Zentrums.
»Hast du das irgendwem erzählt?«
Basil blickte zutiefst gekränkt. »So was würde ich doch niemals tun«, sagte er. »Aber sie könnte mit jemand anderem gesprochen haben. Du solltest sie wirklich loswerden. Kilvin würde Gift und Galle speien, wenn er den Eindruck bekäme, dass du irgendwelchen Hokuspokus verhökerst.«
»Das habe ich aber nicht getan«, sagte ich. »Und ich weiß auch überhaupt nicht, wer das ist. Wie sieht sie denn aus?«
»Jung«, sagte Basil mit einem
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