Die Furcht des Weisen / Band 1
Achselzucken. »Keine Kealdin. Ich glaube, sie hat helles Haar. Sie trägt immer einen blauen Umhang mit Kapuze. Ich bin zu ihr hingegangen und wollte mit ihr reden, aber sie ist einfach weggerannt.«
Ich rieb mir die Stirn. »Na toll.«
»Ich wollte dich nur vorwarnen. Wenn sie tatsächlich noch mal hier reinkommt und nach dir fragt, muss ich Kilvin davon berichten.« Er verzog entschuldigend das Gesicht. »Tut mir leid, aber ich hab schon genug Schwierigkeiten an der Backe.«
»Ich verstehe das vollkommen«, sagte ich. »Danke für die Warnung.«
Als ich die Werkstatt betrat, fiel mir sofort das seltsame Licht auf, das dort herrschte. Ich schaute unter der Decke nach, ob Kilvin etwa seiner Sammlung von Glaskugeln, die dort hingen, eine neue Lampe hinzugefügt hatte. Ich hoffte, dass dies die Ursache war, denn wenn |246| der umgekehrte Fall eintrat und eine seiner Lampen unerwartet den Dienst quittierte, verfinsterte sich Kilvins Laune unweigerlich.
Doch ich konnte unter den Dachsparren keine dunkle Lampe entdecken. Dann dämmerte mir, dass die seltsame Beleuchtung in Wirklichkeit von dem Sonnenschein herrührte, der durch die Fenster unten in der Ostwand hereinfiel. Ich kam sonst immer erst später am Tag zur Arbeit.
So früh am Morgen war es geradezu unheimlich still in der Werkstatt. Die fünf, sechs Studenten, die an ihren Projekten arbeiteten, verloren sich fast in dem großen Raum. Diese Leere, das seltsame Licht und die unerwartete Vorladung durch Kilvin sorgten dafür, dass ich mit einer gewissen Beklommenheit zu seinem Büro hinüberging.
Trotz der frühen Stunde war darin schon ein kleiner Schmiedeofen in Betrieb. Hitze schlug mir entgegen, als ich an der offenen Tür stehenblieb. Nach der frühwinterlich anmutenden Kälte draußen war das ein angenehmes Gefühl. Kilvin stand, mir den Rücken zugewandt, vor dem Ofen und betätigte das Gebläse.
Ich pochte an den Türrahmen. »Meister Kilvin? Ich war gerade im Lager. Ist irgendwas nicht in Ordnung?«
Er sah sich kurz zu mir um. »Re’lar Kvothe. Einen Moment noch. Komm herein.«
Ich betrat das Büro und schloss die schwere Tür hinter mir. Wenn ich Ärger kriegte, wollte ich nicht, dass jemand es mit anhörte.
Kilvin betätigte weiter das Gebläse. Erst als er eine lange Röhre hervorzog, wurde mir klar, dass er da keinen Schmiede-, sondern einen Glasofen betrieb. Mit geschickten Bewegungen zog er am Ende der Röhre einen geschmolzenen Glasklumpen hervor und blies ihn zu einer Blase auf.
Nach einer Weile verlor das Glas sein orangenes Glühen. »Gebläse«, sagte Kilvin, ohne mich anzusehen, und schob die Röhre in den Ofen zurück.
Ich eilte hinüber und betätigte das Gebläse, bis das Glas wieder glühte. Dann hieß mich Kilvin mit einer Handbewegung innehalten, zog die Röhre hervor und blies und drehte so lange, bis die Blase die Größe einer Honigmelone annahm.
|247| Da schob er sie wieder in den Ofen, und ich betätigte unaufgefordert das Gebläse. Beim dritten Durchgang war ich nassgeschwitzt. Ich wünschte mir, ich hätte Kilvins Tür nicht zugemacht, doch andererseits wollte ich das Gebläse nicht so lange aus der Hand geben, wie es gedauert hätte, sie wieder zu öffnen.
Kilvin hingegen schien die Hitze gar nicht zu bemerken. Die Glasblase wurde so groß wie mein Kopf, dann so groß wie ein Kürbis. Als er sie das fünfte Mal aus dem Ofen zog und hineinzublasen begann, sackte sie jedoch am Ende der Röhre zusammen und fiel schließlich zu Boden.
»
Kist, crayle, en kote
!«, fluchte er. Scheppernd warf er die Metallröhre hin. »
Kraemet brevetan Aerin
!«
Ich musste mir das Lachen verkneifen. Mein Siaru war zwar nicht perfekt, aber ich war mir ziemlich sicher, dass Kilvin soeben von »Scheiße in Gottes Bart« gesprochen hatte.
Der an einen Bär gemahnende Meister stand einen Moment lang da und starrte auf die ruinierte Glasblase hinab. Dann seufzte er gereizt, nahm die Schutzbrille ab und wandte sich mir zu.
»Drei Paar synchrone Messingglocken«, sagte er ohne Einleitung. »Ein tropfsicherer Hahn aus Eisen. Vier eiserne Hitzeschlucker. Sechs Siphons aus Zinnblech. Zweiundzwanzig Scheiben gehärtetes Glas und noch etliche weitere in Akkordarbeit hergestellte Werkstücke.«
Es war eine Aufzählung der Gegenstände, die ich bisher in diesem Trimester im Handwerkszentrum angefertigt hatte. Einfache Sachen, die sich schnell fertigstellen und im Lager zu Geld machen ließen.
Kilvin sah mich aus seinen dunklen Augen an.
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