Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag
dass im Speisesaal nur noch eine Hand voll Leute saßen, und trug mein Gedicht vor:
Penthe, zwiefach bewehrt
Auch ohne Schwert,
Verzieht ihren Blumenmund
Und spaltet ein Herz zehn Schritte entfernt.
Penthe lächelte wieder, und es war genauso, wie ich gedichtet hatte. Das Lächeln schnitt mir in die Brust. Auch Felurian hatte ein wunderbares Lächeln gehabt, doch war es alt und wissend. Penthes Lächeln dagegen funkelte wie ein neuer Penny, und ich spürte es wie kühles Wasser auf meinem vertrockneten, müden Herzen.
Das anmutige Lächeln einer jungen Frau – es gibt nichts Schöneres auf der Welt. Es ist wertvoller als Salz. Wenn es fehlt, wird etwas in uns krank und stirbt, davon bin ich fest überzeugt. Etwas so Einfaches. Wie seltsam. Wie wunderbar und seltsam.
Penthe schloss einen Moment lang die Augen und bewegte stumm die Lippen, während sie die Worte für ihr Gedicht wählte.
Dann öffnete sie die Augen wieder und sagte auf Aturisch:
Brennend wie ein Busch
Spricht Kvothe,
Doch der Mund, der Stiefel androht,
Offenbart einen Tanzbär.
Ich lächelte so breit, dass mir das Gesicht wehtat. »Das ist schön«, sagte ich aufrichtig. »Es ist das erste Gedicht, das jemand für mich gemacht hat.«
Nach dem Gespräch mit Penthe ging es mir viel besser. Ich wusste nicht so recht, ob wir miteinander geflirtet hatten, aber das spielte im Grunde keine Rolle. Es genügte mir zu wissen, dass es in Haert wenigstens einen Menschen gab, der mir nicht den Tod wünschte.
Nach dem Essen ging ich wie immer zu Vashets Haus. Ich hoffte halb, sie würde mich mit einem ironischen Lächeln begrüßen und den unangenehmen Vorfall vom Vormittag schweigend übergehen. Zugleich fürchtete ich, sie könnte sich überhaupt weigern, mit mir zu sprechen.
Als ich die Hügelkuppe überquerte, sah ich sie auf der Holzbank vor ihrer Haustür sitzen. Sie lehnte mit dem Rücken am groben Mauerwerk des Hauses, als genieße sie gerade nur die Nachmittagssonne. Ich atmete tief durch und spürte, wie meine Anspannung ein wenig schwand.
Doch beim Näherkommen sah ich ihr Gesicht. Sie lächelte nicht, hatte aber auch nicht die unbewegte Miene der Adem aufgesetzt. Grausam wie ein Henker blickte sie mir entgegen.
Ich begann zu sprechen, sobald ich nahe genug herangekommen war. »Vashet«, sagte ich bittend, »ich …«
Sie hob die Hand, ohne aufzustehen, und ich verstummte so abrupt, als habe sie mich auf den Mund geschlagen. »Eine Entschuldigung nützt jetzt nichts mehr«, sagte sie so glatt und kalt wie Schiefer. »Alles, was du jetzt sagst, ist nicht glaubwürdig. Du weißt, dassich wütend bin, und fürchtest dich deshalb. Das bedeutet aber, dass ich deinen Worten nicht trauen kann. Sie entspringen der Furcht. Du bist verschlagen und charmant und ein Lügner. Ich weiß, dass du die Wirklichkeit mit deinen Worten verbiegen kannst. Deshalb höre ich dir nicht zu.«
Sie setzte sich anders hin und fuhr fort: »Ich habe gleich zu Anfang eine Sanftmut an dir bemerkt, wie sie bei einem so jungen Menschen selten ist. Vor allem deshalb glaubte ich, du hättest es verdient, unterrichtet zu werden. Doch mit der Zeit fiel mir noch etwas anderes auf, ein anderes Gesicht, das überhaupt nicht sanft ist. Ich habe es zunächst als Täuschung abgetan, als Angeberei eines jungen Burschen oder absonderlichen Humor eines Barbaren. Aber als du heute mit mir gesprochen hast, wurde mir auf einmal klar, dass in Wirklichkeit die Sanftmut die Maske ist. Und dass dieses andere, nur flüchtig sichtbare Gesicht, dieses finstere und skrupellose Ding, dein wahres Gesicht ist, das sich dahinter verbirgt.«
Vashet sah mich lange an. »Etwas an dir beunruhigt mich zutiefst. Auch Shehyn hat es in den Gesprächen mit dir wahrgenommen. Es hat nicht mit einem Mangel an Lethani zu tun, darum beunruhigt es mich nur um so mehr. Denn es bedeutet, dass dieses Etwas noch tiefer geht als Lethani, und dass Lethani nichts daran ändern kann.«
Sie erwiderte meinen Blick. »Wenn es so ist, dann hätte ich dich nicht unterrichten dürfen. Wenn du so verschlagen bist, dass du mich lange Zeit mit einem falschen Gesicht täuschen konntest, dann bist du eine Gefahr, nicht nur für die Schule. Dann hat Carceret recht und man sollte dich um der Sicherheit aller Beteiligten willen so rasch wie möglich töten.«
Sie stand mit müden Bewegungen auf. »So weit bin ich bei meinem Nachdenken heute gekommen. Am Abend werde ich weiter darüber nachdenken, morgen treffe ich
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