Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag
dann meine Entscheidung. Nutze die Zeit, deine Gedanken zu ordnen, und triff die Vorbereitungen, die dir angemessen erscheinen.«
Ohne mich noch einmal anzusehen wandte sie sich ab und ging ins Haus. Lautlos zog sie die Tür hinter sich zu.
Ich irrte eine Weile ziellos umher. Zuerst suchte ich den Schwertbaum auf in der Hoffnung, Celean dort zu finden, doch sie war nirgends zu sehen. Den Blättern zuzusehen war mir kein Trost, nicht an diesem Tag.
Also ging ich ins Badehaus und setzte mich lustlos ins Wasser. Danach sah ich in einem der kleineren Räume zum ersten Mal, seit Vashet mich geschlagen hatte, mein Spiegelbild. Die Hälfte meines Gesichts war rot und geschwollen, einige Prellungen an Schläfe und Kinn waren bereits blau und gelb gefleckt. Außerdem hatte ich einen heftigen Bluterguss am Auge, der sich blau verfärbte.
Während ich mich noch im Spiegel betrachtete, regte sich tief in mir der Zorn. Ich war es leid, hilflos zu warten, während andere über mein Schicksal entschieden. Ich hatte getan, was man von mir verlangte, hatte die Sprache meiner Gastgeber gelernt und war stets höflich gewesen, und im Gegenzug hatte man mich behandelt wie einen Hund. Man hatte mich geschlagen, verhöhnt und mir mit dem Tod und Schlimmerem gedroht. Jetzt hatte ich endgültig genug.
Langsam drehte ich meine Runde durch Haert. Ich besuchte die Zwillingsschwestern, den geschwätzigen Schmied und den Schneider, bei dem ich meine Kleider gekauft hatte. Ich plauderte mit allen, stellte Fragen und tat so, als könnte man mir nicht ansehen, dass jemand mich vor wenigen Stunden halb bewusstlos geschlagen hatte.
Meine Vorbereitungen nahmen geraume Zeit in Anspruch, und ich verpasste darüber das Abendessen. Bei meiner Rückkehr zur Schule wurde es bereits dunkel. Ich suchte auf dem kürzesten Weg mein Zimmer auf und schloss die Tür hinter mir.
Dann leerte ich den Inhalt meiner Taschen auf das Bett. Einige Dinge hatte ich gekauft, den Rest geklaut: zwei Kerzen aus feinstem, weichem Bienenwachs, einen langen Span spröden Stahls, der von einer minderwertigen Schwertklinge abgebrochen war, eine Rolle blutrotes Garn und aus dem Badehaus ein mit Wasser gefülltes Fläschchen, das mit einem Korken verschlossen war.
Ich nahm das Fläschchen fest in die Hand. Die wenigsten Menschen wissen, wie viel Wärme Wasser speichern kann. Deshalb braucht es auch so lange, bis es kocht. Obwohl das siedend heiße Becken, dem ich das Wasser entnommen hatte, über eine halbe Meileentfernt war, war das Fläschchen in meiner Hand für die Bedürfnisse des Sympathikers noch besser geeignet als eine glühende Kohle. Dieses Wasser hatte Feuer in sich.
Mit leisem Bedauern dachte ich an Penthe. Dann nahm ich eine Kerze, drehte sie in den Händen und erwärmte sie an meiner Haut, bis das Wachs weich war und ich einen Puppe daraus formen konnte.
Anschließend saß ich in düstere Gedanken versunken in meinem Zimmer, während es draußen vollends Nacht wurde. Ich betrachtete die Instrumente, die ich bereitgelegt hatte. Im tiefsten Innern wusste ich, dass es Situationen gibt, in denen Worte nichts mehr helfen. Was blieb mir also anderes übrig, jetzt, wo ich mit Worten nichts mehr ausrichten konnte?
Was können wir überhaupt noch tun, wenn Worte versagen?
Kapitel 121
Wenn Worte versagen
E s war bereits tiefe Nacht, als ich mich Vashets Haus näherte, doch in ihrem Fenster flackerte Kerzenschein. Ich hatte keinen Zweifel, dass sie mich töten oder verprügeln würde, wenn es dem Wohl Ademres diente, aber Vashet war vor allem gründlich. Zuerst würde sie noch die ganze Nacht darüber nachdenken.
Mit leeren Händen klopfte ich leise an ihre Tür. Einen Moment später öffnete sie mir. Sie trug immer noch ihr rotes Söldnerkleid, hatte aber die meisten der Seidenbänder entfernt, mit denen sie es sich um den Leib geschnürt hatte. Ihre Augen blickten müde.
Sie presste die Lippen zusammen, als sie mich vor der Tür stehen sah, und ich wusste, wenn ich etwas sagte, würde sie mir nicht zuhören. Ich bedeutete ihr also mit einer flehenden Geste, mir zu folgen, und trat aus dem Licht der Kerze wieder in die Nacht. Inzwischen kannte ich sie so gut, dass ich mir ihrer Neugier sicher sein konnte. Sie kniff zwar misstrauisch die Augen zusammen, folgte mir aber nach kurzem Zögern. Ihr Schwert nahm sie nicht mit.
Es war eine klare Nacht und der Mond leuchtete uns den Weg. Ich stieg bergauf, weg von der Schule und den verstreuten Häusern und Läden
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