Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag
ich. »Ich falle im Schwertkampf immer stärker zurück.«
»Bin ich nicht deine Lehrerin?«, fragte sie. »Woher willst du wissen, was für dich am besten ist?«
»Ich muss später draußen in der Welt zurechtkommen«, sagte ich vorwurfsvoll. »Und dort kämpfe ich lieber mit einem Schwert als mit den Fäusten.«
Vashet senkte die Hände und sah mich verständnislos an. »Und warum bitteschön?«
»Weil die anderen auch Schwerter haben. Und wenn ich kämpfe, will ich schließlich gewinnen.«
»Und das ist mit einem Schwert leichter?«
Vashets äußerliche Ruhe hätte mich warnen sollen, dass ich mich mit meinen Argumenten auf dünnem Eis bewegte, aber ich war durch die Übelkeit erregenden Schmerzen abgelenkt, die von meinen Lenden ausstrahlten. Obwohl ich, wenn ich ehrlich bin, vielleicht auch sonst nicht darauf geachtet hätte. Vashet war mir inzwischen so vertraut, dass ich nicht mehr richtig aufpasste.
»Natürlich«, sagte ich. »Warum trägt man sonst ein Schwert?«
»Gute Frage«, überlegte sie. »Warum trägt man ein Schwert?«
»Warum trägt man etwas? Damit man es verwenden kann.«
Vashet sah mich mit einem Ausdruck größter Empörung an. »Warum mühen wir uns dann damit ab, dass du unsere Sprache lernst?«, fragte sie wütend. Sie packte mich mit einer Hand am Kinn, drückte mir die Finger in die Wangen und zwang mich so, den Mund aufzumachen, als sei ich ein Patient der Mediho, der seine Arznei nicht nehmen will. »Wozu brauchst du eine Zunge, wenn ein Schwert ausreicht? Kannst du mir das sagen?«
Vergeblich versuchte ich mich aus ihrem Griff zu befreien, sie war stärker als ich. Ich versuchte sie wegzustoßen, aber sie schob meine fuchtelnden Hände ungeduldig zur Seite, als sei ich ein Kind.
Dann ließ sie mein Gesicht los, fasste mich am Handgelenk und riss meine Hand vor meinem Gesicht nach oben. »Warum hast du überhaupt Hände an den Armen und nicht Messer?«
Sie ließ mich wieder los und schlug mich mit der flachen Hand hart ins Gesicht.
Wenn ich sage, sie schlug mich, bekommt ihr einen falschen Eindruck. Sie schlug mich nicht mit einer dramatisch ausholenden Geste, wie man es auf der Bühne erlebt. Genauso wenig handelte es sich um den empörten, schmerzhaft brennenden Klaps der Kammerfrau auf die glatte Haut eines zudringlichen Edelmanns und nicht einmal um den kräftigeren Schlag, mit dem eine Kellnerin sich gegen die unliebsame Aufmerksamkeit eines grapschenden Betrunkenen zur Wehr setzt.
Nein, es handelte sich nicht um einen gewöhnlichen Schlag, der mit den Fingern oder der Handfläche ausgeführt wird und brennt oder einen erschreckt. Vashet schlug mich mit der offenen Hand, aber dahinter spürte ich die Kraft ihres Armes. Und hinter ihremArm stand ihre Schulter und dahinter der ganze komplexe Zusammenhang ihrer sich drehenden Hüften, ihrer starken, in den Boden gestemmten Beine und des Bodens unter ihren Füßen. Mir war, als stecke hinter dem Schlag ihrer flachen Hand die ganze Schöpfung, und er machte mich nur deshalb nicht zum Krüppel, weil Vashet bei aller Wut nie die Beherrschung über sich verlor.
Weil sie sich beherrschte, renkte sie mir nicht den Kiefer aus und schlug mich auch nicht bewusstlos. Doch mir klapperten die Zähne und dröhnten die Ohren. Mir wurde schwindlig und meine Beine zitterten und wollten mich nicht mehr tragen. Ich wäre gestürzt, hätte Vashet mich nicht an den Schultern festgehalten.
»Glaubst du, ich lehre dich die Geheimnisse des Schwertes, damit du sie in der Welt draußen benützen kannst?«, herrschte sie mich an. Ich nahm wie von ferne wahr, dass sie schrie. Es war das erste Mal, dass ich einen Adem die Stimme erheben hörte. »Glaubst du das?«
Während ich wie betäubt in ihren Händen hing, schlug sie mich erneut. Diesmal traf sie auch meine Nase. Die Schmerzen waren unerwartet stark, als hätte mir jemand einen Eissplitter direkt ins Gehirn gestoßen. Ich schreckte aus meiner Betäubung auf und war bei vollem Bewusstsein, als Vashet mich zum dritten Mal schlug.
Sie hielt mich noch einen Moment lang fest, während sich alles um mich drehte, dann ließ sie mich los. Torkelnd ging ich einen Schritt und sackte dann zusammen wie eine Marionette, der man die Fäden gekappt hat. Ich war nicht bewusstlos, aber ich fühlte mich wie gelähmt.
Es dauerte lange, bis ich mich ein wenig erholt hatte. Als ich mich endlich aufsetzen konnte, fühlte mein Körper sich ganz lose und sperrig an, als hätte ihn jemand zerlegt und nicht ganz
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