Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag
gehofft, mich mit Vashet anzufreunden, aber ich fürchte, heute habe ich es mir gründlich mit ihr verdorben.«
Penthe nickte. »Ich sehe es.« Sie streckte die Hand aus und strich mit dem Daumen über meine geschwollene Wange. Ihr Daumen fühlte sich kühl an. »Du hast sie offenbar sehr wütend gemacht.«
Ich nickte. »Mir dröhnen immer noch die Ohren.«
Penthe schüttelte den Kopf. »Nein, ich meine deine Wange.« Sie zeigte auf ihr eigenes Gesicht. »Bei jemand anderem wäre das vielleicht versehentlich passiert, aber wenn Vashet so etwas tut, will sie, dass alle es sehen.«
Mir war, als würde mir der Boden unter den Füßen weggezogen. Unwillkürlich hob ich die Hand an mein Gesicht. Natürlich! Meine gerötete Wange war nicht nur eine Strafe, sie war eine Botschaft an alle Adem.
»Was bin ich für ein Narr«, sagte ich leise. »Daran habe ich gar nicht gedacht.«
Schweigend aßen wir eine Weile, dann fragte ich: »Warum hast du dich zu mir gesetzt?«
»Als ich dich heute sah, fiel mir ein, dass ich viel von anderen über dich gehört habe, aber nichts von dir selber weiß.« Es entstand eine kleine Pause.
»Und was sagen die anderen?« Ich lächelte schief.
Penthe streckte wieder die Hand aus und berührte mich mit den Fingerspitzen am Mundwinkel. »Was bedeutet das?«, fragte sie. »Das krumme Lächeln?«
Ich machte die Gebärde für
leichten Spott.
»Natürlich über mich selber, nicht über dich. Ich kann mir denken, was die anderen sagen.«
»Nicht alles, was sie sagen, ist schlecht«, sagte sie sanft.
Sie hob den Kopf und erwiderte meinen Blick. Die Augen in ihrem kleinen Gesicht waren ganz groß und hatten ein etwas dunkleres Grau als die der anderen. Sie waren vollkommen klar und glänzten. Als Penthe dann auch noch lächelte, brach es mir fast das Herz. Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen, und senkte in meiner Verlegenheit rasch den Blick.
»Oh nein!«, rief Penthe leise und machte hastig eine entschuldigende Geste. »Bitte, es war falsch, zu lächeln und deinen Blick zu berühren. Ich meinte damit etwas anderes.«
Ermutigung.
»Es war nicht falsch von dir, zu lächeln«, sagte ich, ohne aufzublicken, und versuchte wütend, die Tränen wegzublinzeln. »Ich habe nur nicht damit gerechnet, dass jemand so nett zu mir ist, weil ich es heute nicht verdient habe. Du bist die Erste, die freiwillig mit mir spricht. Und du hast ein so liebenswertes Gesicht, dass es mir richtig wehtut.« Ich machte mit der linken Hand die Geste für Dankbarkeit, froh darüber, dass ich Penthe dazu nicht anzusehen brauchte.
Sie schob die linke Hand über den Tisch und ergriff meine Linke. Dann drehte sie die Hand mit der Innenfläche nach oben und drückte sie sacht mit der Geste für
Trost.
Ich hob den Blick und lächelte sie, wie ich hoffte, beruhigend an.
Sie ahmte das Lächeln nach, dann bedeckte sie wieder ihren Mund. »Ich bin immer noch wegen meines Lächelns ängstlich.«
»Das brauchst du nicht zu sein. Dein Mund ist dafür wunderbar geeignet.«
Penthes Blick begegnete für den Bruchteil einer Sekunde meinem, dann senkte er sich wieder. »Wirklich?«
Ich nickte. »In meiner Sprache ist es ein Mund, über den ich ein …« Ich verstummte abrupt und mir brach der Schweiß aus. Fast hätte ich »Lied« gesagt.
»Ein Gedicht schreiben könnte?«
»Ja«, sagte ich hastig. »Dein Lächeln hätte ein Gedicht verdient.«
»Dann schreib eins. In meiner Sprache.«
»Nein, es wäre das Gedicht eines Bären und viel zu unbeholfen für dich.«
Mein Einwand schien sie freilich nur in ihrem Wunsch zu bestärken und sie sah mich eifrig an. »Doch. Wenn es unbeholfen ist, tröstet es mich wenigstens über mein eigenes Gestotter hinweg.«
»Aber dann musst du auch ein Gedicht schreiben«, drohte ich ihr. »In meiner Sprache.«
Ich hatte erwartet, dass sie davor zurückschrecken würde, aber sie zögerte nur kurz und nickte.
Ich dachte an die einzigen ademischen Gedichte, die ich kannte: einige Verse des alten Seidenspinners und das Gedicht aus der Geschichte über die Bogenschützen, die Shehyn mir erzählt hatte. Viel war es nicht.
Dann überlegte ich, welche Wörter ich noch kannte und wie sie klangen. Ich vermisste meine Laute jetzt besonders schmerzlich. Dafür haben wir schließlich die Musik. Worte allein reichen nicht immer aus. Musik setzt da ein, wo die Worte versagen.
Nach einer Weile beugte ich mich vor, nachdem ich mich zuvor noch ängstlich umgesehen hatte, erleichtert immerhin,
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