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Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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Frau war auf einer leeren Sitzbank halb in sich zusammengesunken, und ihr Begleiter beugte sich über sie. Sie presste sich eine Hand auf die Brust und hielt ihn mit der anderen schwächlich auf Abstand. Der Mann ignorierte es, drängte sich an sie und sprach leise und eindringlich auf sie ein. Die Frau rutschte immer weiter von ihm weg, bis sie ganz am Ende der Bank lag.
    Ich schob den Mann unsanft beiseite. »Ich glaube, sie möchte, dass Ihr sie mal einen Moment lang in Ruhe lasst.«
    »Wer seid Ihr?«, herrschte er mich an. »Seid Ihr ein Arzt? Wer ist dieser Mann? Holt einen Arzt! Schnell!« Er versuchte mich mit dem Ellenbogen fortzudrängen.
    »Du da!« Ich zeigte auf einen großen Seemann, der in der Nähe an einem Tisch saß. »Pack diesen Mann, und schaff ihn da rüber!« Meine Stimme peitschte durch den Raum, und der Seemann sprang auf, packte den jungen Edelmann im Genick und zerrte ihn fort.
    Ich wandte mich wieder der Frau zu und sah, wie sich ihr wunderschöner Mund öffnete. Sie strengte sich an, bekam aber kaum Luft. Ihre Augen blickten verängstigt. Ich sagte ihr in meinem sanftestenTonfall ins Ohr: »Du wirst wieder gesund. Alles wird gut. Du musst mir jetzt in die Augen sehen.«
    Ihr Blick richtete sich starr auf mich, und als sie mich erkannte, riss sie verblüfft die Augen auf. »Ich will, dass du für mich atmest.« Ich legte eine Hand auf ihre fliegende Brust. Ihre Haut war gerötet und erhitzt. Ihr Herz raste wie das eines verängstigten Vogels. Meine andere Hand legte ich an ihre Wange. Dann sah ich ihr tief in die Augen. Sie waren wie dunkle Seen.
    Ich beugte mich über sie, nah genug, um sie zu küssen. Sie duftete nach Selasblüten, grünem Gras und Straßenstaub. Ich spürte, wie sie sich anstrengte, Luft zu bekommen. Ich lauschte. Ich schloss die Augen. Ich hörte, wie ein Name gewispert wurde.
    Ich sprach ihn ganz leise, war ihr dabei aber so nah, dass er ihr über die Lippen strich. Ich sprach ihn ganz leise, war ihr dabei aber so nah, dass sich sein Klang in ihr Haar schlängelte. Ich sprach ihn eindringlich, dunkel und süß.
    Dann spürte ich, wie ganz nah Luft eingesogen wurde. Ich schlug die Augen auf. Im Raum war es so still, dass ich den samtenen Sog ihres zweiten verzweifelten Atemzugs hören konnte. Ich entspannte mich.
    Sie legte eine Hand auf meine, über ihrem Herzen. »Ich will, dass du für mich atmest«, wiederholte sie. »Das sind sieben Worte.«
    »Ja, stimmt«, sagte ich.
    »Mein Held«, sagte Denna und atmete langsam und lächelnd weiter.

     
    »Es war sehr sonderbar«, hörte ich den Seemann am anderen Ende des Schankraums sagen. »In seiner Stimme lag etwas. Ich schwör’s bei meiner Seel’, ich hab mich gefühlt wie ’ne Marionette, der man an den Strippen zieht.«
    Ich hörte ihm nur mit halbem Ohr zu. Der Mann war es wahrscheinlich einfach nur gewohnt, aufzuspringen und in Aktion zu treten, wenn ihn eine Stimme mit dem entsprechenden autoritären Klang dazu aufforderte.
    Aber es wäre sinnlos gewesen, ihm das zu sagen. Durch das, was ich mit Denna angestellt hatte, hatte ich mich, zusammen mit meinem roten Haar und dem dunklen Mantel, als Kvothe zu erkennen gegeben. Es war also alles Zauberei gewesen, ganz egal, was ich dazu gesagt hätte. Doch das kümmerte mich nicht. Was ich an diesem Abend vollbracht hatte, war die eine oder andere Legende wert.
    Nachdem die Leute mich erkannt hatten, sahen sie uns beiden zu, ohne aber näher zu kommen. Dennas Begleiter war bereits aus dem Lokal verschwunden, als wir auf den Gedanken kamen, nach ihm zu sehen, und so erfreuten wir beide uns in unserer kleinen Ecke des Schankraums einer gewissen Ungestörtheit.
    »Ich hätte wissen müssen, dass ich dich hier treffe«, sagte sie. »Du tauchst immer dort auf, wo ich am wenigsten mit dir rechne. Bist du etwa von der Universität hierher gezogen?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich schwänze bloß mal ein paar Tage lang den Unterricht.«
    »Fährst du bald wieder zurück?«
    »Morgen. Ich habe mir einen Zweispänner gemietet.«
    Sie lächelte. »Hättest du dabei gern ein bisschen Gesellschaft?«
    Ich sah sie freimütig an. »Die Antwort darauf kennst du doch.«
    Denna errötete ein wenig und wandte den Blick ab. »Ja, ich glaube, ich kenne sie.«
    Als sie den Blick senkte, fiel ihr Haar wie ein Sturzbach über ihre Schultern nach vorn und rahmte ihr Gesicht. Es duftete warm und köstlich, nach Sonnenschein und Apfelwein. »Dein Haar«, sagte ich.

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