Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag
alt und traurig.« Felurian ließ den Blick auf mir ruhen. »was bietest du mir dafür?«
»Den Schweigsamen Hirsch«, sagte ich.
»damit beschenkst du dich ja selbst«, erwiderte sie listig. »was noch?«
»Ich mache dir auch die Tausend Hände.« Ihre Miene besänftigte sich. »Und ich zeige dir noch etwas, das ich mir ganz allein ausgedacht habe. Ich nenne es Schwanken im Wind.«
Felurian verschränkte die Arme, wandte den Blick ab und tat, als interessiere sie das überhaupt nicht. »neu vielleicht für dich. ich kenne es bestimmt schon unter einem anderen namen.«
»Vielleicht, aber das kannst du erst sicher wissen, wenn ich es dir schenke.«
»also gut«, seufzte sie. »aber nur, weil du mit den tausend händen so gut bist.«
Sie blickte kurz zur Mondsichel auf. »lange vor den städten der menschen, vor den menschen und vor den feen gab es die, die mit offenen augen gingen. sie kannten die in den dingen verborgenen namen.« Sie sah mich an. »weißt du, was das bedeutet?«
»Wer den Namen von etwas weiß, herrscht darüber.«
»nein«, erwiderte Felurian so tadelnd, dass ich erschrak. »herrschaft hatte damit nichts zu tun. sie kannten das wesen der dinge, aber sie beherrschten sie nicht. im wasser zu schwimmen heißt nicht, es zu beherrschen. einen apfel zu essen heißt nicht, ihn zu beherrschen.« Sie sah mich prüfend an. »verstehst du das?«
Ich verstand es nicht, nickte aber trotzdem, denn ich wollte sie nicht aufregen und auch nicht in ihrer Erzählung unterbrechen.
»die alten namensweisen kamen auf der welt gut zurecht. sie kannten den fuchs und den hasen und das, was dazwischen ist.«
Felurian atmete tief ein und mit einem Seufzer wieder aus. »nach ihnen kamen die, die verändern wollten, was sie sahen. sie strebten nach herrschaft. sie waren gestalter und stolze träumer.« Sie machte eine beschwichtigende Handbewegung. »zu anfang war nicht alles schlecht. es gab wunder.« Ihre Miene hellte sich auf, und sie fasste mich eifrig am Arm. »einmal saß ich auf den mauern von murella und aß die frucht eines silberbaums. sie leuchtete, und im dunkeln konnte man die münder und augen all derer erkennen, die von ihr gekostet hatten!«
»Lag Murella im Reich der Fae?«
Felurian runzelte die Stirn. »nein. ich habe doch gesagt, das war vor allem anderen. es gab nur einen himmel, einen mond und eine welt, und in ihr waren murella, die frucht und ich, und ich aß sie und augen leuchteten im dunkeln.«
»Wie lange ist das her?«
Felurian zuckte mit den Schultern. »lange.«
Lange. Länger jedenfalls, als jedes mir bekannte Geschichtsbuch zurückreichte. In der Bibliothek gab es kaluptenische Geschichtsbücher, die aus zweitausend Jahre alten Quellen schöpften, doch in keinem war auch nur entfernt von den Dingen die Rede, von denen Felurian erzählte.
»Entschuldige bitte, dass ich dich unterbrochen habe«, sagte ich möglichst höflich und verbeugte mich, so gut ich konnte, ohne dabei ganz unterzutauchen.
»die frucht war nur der anfang«, fuhr Felurian besänftigt fort. »ähnlich den ersten unsicheren bewegungen eines kindes. die gestalter wurden immer kühner und verwegener. die namensweisen befahlen ihnen, aufzuhören, doch die gestalter weigerten sich. sie gerieten in streit, und die namensweisen erteilten verbote. sie wollten keine herrschaft dieser art.« Felurians Augen glänzten. »aber oh«, seufzte sie. »die dinge, die sie schufen!«
Und das von einer Frau, die mir einen Mantel aus Schatten gemacht hatte. Ich hatte keine Vorstellung, was sie zum Staunen brachte. »Was haben sie denn geschaffen?«
Felurian zeigte mit einer ausladenden Bewegung auf unsere Umgebung.
»Die Bäume?«, fragte ich ehrfürchtig.
Sie lachte über meinen Ton. »nein. das reich der fae.« Sie schwang wieder den Arm. »gestaltet nach ihrem willen. der größte von ihnen nähte es aus einem stück stoff. als einen ort, an dem sie nach belieben schalten und walten konnten. und nach beendigung der arbeit schuf jeder gestalter einen stern, um damit ihren neuen, noch leeren himmel zu füllen.«
Felurian lächelte mich an. »erst ab da gab es zwei welten. zwei himmel mit verschiedenen sternen.« Sie hob den Kiesel. »aber weiterhinnur einen mond, der rund und schön am himmel der sterblichen prangte.«
Ihr Lächeln verging. »doch ein gestalter war größer als alle anderen. ihm reichte es nicht, einen stern zu formen. er spannte seinen willen an, bis er über die ganze welt reichte, und holte den mond aus
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